In den 37 Jahren meiner Tätigkeit habe ich noch keinen Fall von solcher ritueller Gewalt gehabt.
Es gibt keinen einzigen Beweis und Experten erkennen eindeutige Muster von Verschwörungserzählungen. Dennoch hat das SRF Reportagemagazin «Rec» auf seiner Spurensuche mehrere Leute getroffen, die felsenfest an einen bösen Zirkel «bis in höchste Kreise» glauben, der satanistische rituelle Gewalt auch an Kleinkindern ausübe.
In satanischer Sekte aufgewachsen
Die Spurensuche beginnt vor vier Jahren mit dem Mail einer jungen Frau, die schrieb, sie sei in einer satanischen Sekte aufgewachsen und rituell missbraucht worden. Adressat des Mails war SRF-Moderator Robin Rehmann.
Die junge Frau schrieb weiter, dass in diesen Ritualen auch Babys geopfert worden seien und sie Blut habe trinken müssen. In einem persönlichen Gespräch berichtet sie, dass bei ihr eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert worden sei und der Verein CARA (Care About Ritual Abuse) ihr dabei helfe, das Geschehene zu verarbeiten.
Robin Rehmann besucht in der Folge mehrere Informationsveranstaltungen und Seminare von CARA. Er lernt Leute kennen, die an diese unvorstellbaren Schilderungen glauben. In Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern des Vereins, aber auch mit Psychologinnen und Psychiatern, die vermeintliche Opfer von satanistischen rituellen Gewalttaten therapieren, zeigt sich immer mehr, dass die Erzählungen an Verschwörungstheorien der Gruppe QAnon erinnern.
Experten sehen eindeutig ein Verschwörungsnarrativ
Religions- und Sektenexperte Georg Otto Schmid bestätigt dies. Das Verschwörungsnarrativ der satanistischen rituellen Gewalt sei während der Coronapandemie durch die QAnon-Bewegung noch übersteigert worden. Dass sogar Therapeuten oder Lehrerinnen solchen Erzählungen Glauben schenken, schätzt Schmid als gefährlich ein.
Auch für den Soziologen Marko Kovic ist klar: Solche Geschichten sind reine Verschwörungserzählungen. Er warnt davor, sie weiterzuverbreiten. Für besonders perfide hält er die Instrumentalisierung eines realen Krankheitsbildes wie der dissoziativen Identitätsstörung als Mittel, um damit Angst einzuflössen und solche Erzählungen weiterzuverbreiten.
Gabriela Hagger hat erlebt, was passieren kann, wenn in einer Therapie solche Missbrauchsvorwürfe auftauchen. Ihre Tochter war wegen einer psychischen Erkrankung unter anderem auch auf der Traumastation der Klinik Littenheid in Therapie.
Plötzlich habe sie von schlimmen satanistischen Ritualen erzählt, die ihre Eltern auf einem Friedhof mit ihr gemacht haben sollen. Auch von sexuellem Missbrauch war die Rede. Die Untersuchungsbehörden schalteten sich ein.
Therapeut hält Vorwürfe für wahr
Die Vorwürfe gegen Gabriela Hagger und ihren Mann konnten nie nachgewiesen werden, die Untersuchung wurde eingestellt. Trotzdem wurde den Eltern der Kontakt zur Tochter verwehrt, erzählt Hagger, da der behandelnde Psychotherapeut die Schilderungen der Tochter als glaubwürdig einschätzte und die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sich auf dieses Gutachten stützten.
Ein Gespräch mit Dr. Matthias Kollmann, Oberarzt der Traumastation der Klinik Littenheid bestätigt, dass der Oberarzt tatsächlich glaubt, es gebe satanistischen, rituellen Missbrauch auch in der Schweiz. Er beruft sich dabei auf seine Erfahrungen mit den Opfern und auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die ähnliches berichten. Anders sieht das seine Klinikleitung. Gegenüber SRF «distanziert sie sich in aller Form» von den persönlichen Aussagen ihres Oberarztes: «Wir nehmen dies sehr ernst und haben umgehend interne Abklärungen eingeleitet.»
Gefährliche Therapien wecken falsche Erinnerungen
Dass sich Betroffene bei Befragungen oder in Therapien an satanistische Rituale und Ereignisse zu erinnern glauben, erklären andere Fachleute aber mit dem sogenannten «False Memory». Falsche Erinnerungen aus der frühesten Kindheit können beispielsweise in Therapien suggeriert werden.
Der Ostschweizer Gerichtspsychiater Thomas Knecht, der mit dem Fall von Gabriela Hagger vertraut ist, warnt deshalb auch vor sogenannten Rückführungs- oder Aufweckungstherapien. «Die Zuverlässigkeit solcher Therapien im Hinblick darauf, wie realistisch das ist, was da aufgedeckt wird, ist sehr enttäuschend.»
Und es kann für die Patientinnen und Patienten schwerwiegende Folgen haben. Opfer, die tatsächlich Missbrauch erfahren haben und bei Fachleuten oder Vertrauenspersonen Hilfe suchen, könnten ein zweites Mal traumatisiert werden, indem sie mit furchtbaren falschen Erinnerungen leben müssen, der Teufel oder satanistische Zirkel habe sie gequält und missbraucht.
In der Schweiz konnten bis heute keine gemeldeten Fälle von satanistischer ritueller Gewalt nachgewiesen werden. Das bestätigt Thomas Werner, Leiter der Abteilung Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich. Dennoch ist auch er überzeugt, dass es solche Fälle in der Schweiz gebe.
Der Glaube verbreitet sich – ohne einen einzigen Beweis
Werner ist auch im Film «Parallelwelten» zu sehen, den der Verein CARA produziert hat und den Soziologe Kovic als «Propaganda» bezeichnet. Werner rechtfertigt seinen Auftritt in diesem Film damit, dass er diesen Gruppierungen erläutern wollte, welche Probleme die Polizei bei den Ermittlungen solcher Fälle habe und was allenfalls hilfreich sein könnte.
Der Glaube an satanistische rituelle Gewalt findet in der Schweiz immer mehr Verbreitung, wie die Recherche zeigt. Nicht nur Therapeuten oder Polizisten schenken diesen Geschichten Glauben, auch Lehrerinnen und ein Politiker tun das und verbreiten die Erzählungen weiter. Beweise bleiben sie schuldig.