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Verschwörungsmythen Der Teufel mitten unter uns

Eine Verschwörungserzählung kursiert auch in der Schweiz: Im Untergrund operierende Zirkel von Satanisten würden in grausamen Ritualen Kinder quälen, sexuell missbrauchen und sogar schlachten. Trotz ernsthaften Ermittlungsbemühungen der Polizei fehlen jegliche Beweise.

In den 37 Jahren meiner Tätigkeit habe ich noch keinen Fall von solcher ritueller Gewalt gehabt.
Autor: Thomas Knecht Gerichtspsychiater

Es gibt keinen einzigen Beweis und Experten erkennen eindeutige Muster von Verschwörungserzählungen. Dennoch hat das SRF Reportagemagazin «Rec» auf seiner Spurensuche mehrere Leute getroffen, die felsenfest an einen bösen Zirkel «bis in höchste Kreise» glauben, der satanistische rituelle Gewalt auch an Kleinkindern ausübe.

In satanischer Sekte aufgewachsen

Die Spurensuche beginnt vor vier Jahren mit dem Mail einer jungen Frau, die schrieb, sie sei in einer satanischen Sekte aufgewachsen und rituell missbraucht worden. Adressat des Mails war SRF-Moderator Robin Rehmann.

Die junge Frau schrieb weiter, dass in diesen Ritualen auch Babys geopfert worden seien und sie Blut habe trinken müssen. In einem persönlichen Gespräch berichtet sie, dass bei ihr eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert worden sei und der Verein CARA (Care About Ritual Abuse) ihr dabei helfe, das Geschehene zu verarbeiten.

Pro Mente Sana appelliert an Sorgfaltspflicht

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Thomas Ihde, Präsident der Stiftung Pro Mente Sana, mahnt zu hoher Sorgfalt bei solchen Anschuldigungen.

«Wir möchten verhindern, dass Personen, die Schlimmes erlebt haben, nicht gehört werden. Wir möchten aber auch verhindern, dass Personen an Erinnerungen leiden, die gar nicht ihre sind. Und das dann massivste Auswirkungen auf ihre Gesundung und auf die Gesundung ihres Umfelds hat.

Wir appellieren hier stark an die Sorgfaltspflicht, gerade wenn ein Thema so kontrovers diskutiert wird, so nah an Verschwörungstheorien ist. Dann muss das genau überprüft werden.»

Betroffene und Nahestehende, die Unterstützung suchen, können sich an Pro Mente Sana wenden.

Robin Rehmann besucht in der Folge mehrere Informationsveranstaltungen und Seminare von CARA. Er lernt Leute kennen, die an diese unvorstellbaren Schilderungen glauben. In Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern des Vereins, aber auch mit Psychologinnen und Psychiatern, die vermeintliche Opfer von satanistischen rituellen Gewalttaten therapieren, zeigt sich immer mehr, dass die Erzählungen an Verschwörungstheorien der Gruppe QAnon erinnern.

Video
Satanische Netzwerke sollen Kinder rituell foltern
Aus 10 vor 10 vom 15.12.2021.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 55 Sekunden.

Experten sehen eindeutig ein Verschwörungsnarrativ

Religions- und Sektenexperte Georg Otto Schmid bestätigt dies. Das Verschwörungsnarrativ der satanistischen rituellen Gewalt sei während der Coronapandemie durch dieQAnon-Bewegung noch übersteigert worden. Dass sogar Therapeuten oder Lehrerinnen solchen Erzählungen Glauben schenken, schätzt Schmid als gefährlich ein.

Audio
Marko Kovic: «Alle sind anfällig für Verschwörungserzählungen»
aus Rehmann vom 14.12.2021.
abspielen. Laufzeit 19 Minuten 18 Sekunden.

Auch für den Soziologen Marko Kovic ist klar: Solche Geschichten sind reine Verschwörungserzählungen. Er warnt davor, sie weiterzuverbreiten. Für besonders perfide hält er die Instrumentalisierung eines realen Krankheitsbildes wie der dissoziativen Identitätsstörung als Mittel, um damit Angst einzuflössen und solche Erzählungen weiterzuverbreiten.

«Satanic Panic» in den USA

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Unter dem Begriff «Satanic Panic» tauchte der Glaube an satanistische Gewaltrituale bereits in den 80er und 90er Jahren in den USA auf. Diese Verschwörungstheorie verbreitete sich, weil plötzlich viele Betroffene erzählten, sich daran erinnern zu können, von satanistischen Täterkreisen missbraucht worden zu sein. Solche Erinnerungen kamen zumeist im Zuge von Trauma-Erinnerungstherapien zum Vorschein.

Die Täter seien angeblich in geheimen satanistischen Zirkeln verbunden, würden ihre Opfer schwängern, die Neugeborenen auf einem Altar töten und essen. Beweise für solche Zirkel und Rituale konnten nie erbracht werden.

Die Anhänger dieses Glaubens behaupten, dass Beweise fehlten, weil die Opfer hypnotisch programmiert worden seien und deshalb nicht in der Lage waren vor Gericht über die Taten auszusagen. Zudem seien die Strafverfolgungsbehörden in diese satanistischen Netzwerke eingebunden und hätten die Aufdeckung dieser Taten verhindert.

Gabriela Hagger hat erlebt, was passieren kann, wenn in einer Therapie solche Missbrauchsvorwürfe auftauchen. Ihre Tochter war wegen einer psychischen Erkrankung unter anderem auch auf der Traumastation der Klinik Littenheid in Therapie.

Plötzlich habe sie von schlimmen satanistischen Ritualen erzählt, die ihre Eltern auf einem Friedhof mit ihr gemacht haben sollen. Auch von sexuellem Missbrauch war die Rede. Die Untersuchungsbehörden schalteten sich ein.

Therapeut hält Vorwürfe für wahr

Die Vorwürfe gegen Gabriela Hagger und ihren Mann konnten nie nachgewiesen werden, die Untersuchung wurde eingestellt. Trotzdem wurde den Eltern der Kontakt zur Tochter verwehrt, erzählt Hagger, da der behandelnde Psychotherapeut die Schilderungen der Tochter als glaubwürdig einschätzte und die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sich auf dieses Gutachten stützten.

Eine Frau sitzt im Bürostuhl und schaut in die Kamera.
Legende: Nach einer Therapie äussert die Tochter plötzlich schwere Vorwürfe gegen Gabriela Hagger und ihren Mann. SRF

Ein Gespräch mit Dr. Matthias Kollmann, Oberarzt der Traumastation der Klinik Littenheid bestätigt, dass der Oberarzt tatsächlich glaubt, es gebe satanistischen, rituellen Missbrauch auch in der Schweiz. Er beruft sich dabei auf seine Erfahrungen mit den Opfern und auf den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die ähnliches berichten. Anders sieht das seine Klinikleitung. Gegenüber SRF «distanziert sie sich in aller Form» von den persönlichen Aussagen ihres Oberarztes: «Wir nehmen dies sehr ernst und haben umgehend interne Abklärungen eingeleitet.»

Gefährliche Therapien wecken falsche Erinnerungen

Dass sich Betroffene bei Befragungen oder in Therapien an satanistische Rituale und Ereignisse zu erinnern glauben, erklären andere Fachleute aber mit dem sogenannten «False Memory». Falsche Erinnerungen aus der frühesten Kindheit können beispielsweise in Therapien suggeriert werden.

Der Ostschweizer Gerichtspsychiater Thomas Knecht, der mit dem Fall von Gabriela Hagger vertraut ist, warnt deshalb auch vor sogenannten Rückführungs- oder Aufweckungstherapien. «Die Zuverlässigkeit solcher Therapien im Hinblick darauf, wie realistisch das ist, was da aufgedeckt wird, ist sehr enttäuschend.»

Und es kann für die Patientinnen und Patienten schwerwiegende Folgen haben. Opfer, die tatsächlich Missbrauch erfahren haben und bei Fachleuten oder Vertrauenspersonen Hilfe suchen, könnten ein zweites Mal traumatisiert werden, indem sie mit furchtbaren falschen Erinnerungen leben müssen, der Teufel oder satanistische Zirkel habe sie gequält und missbraucht.

«Rituelle Gewalt Mind-Control»

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Die Sekteninfo Nordrhein-Westfalen hat sich 2006 und 2020 intensiv mit dem Thema befasst, da sich immer wieder Betroffene gemeldet haben, die glaubten, rituell missbraucht worden zu sein. Die ausführliche Information zur Verschwörungserzählung finden sich hier.

In der Schweiz konnten bis heute keine gemeldeten Fälle von satanistischer ritueller Gewalt nachgewiesen werden. Das bestätigt Thomas Werner, Leiter der Abteilung Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich. Dennoch ist auch er überzeugt, dass es solche Fälle in der Schweiz gebe.

Ein Mann im blauen Hemd. Im Hintergrund eine orange Signalweste.
Legende: Thomas Werner leitet die Abteilung Kinderschutz der Stadtpolizei Zürich. Trotz fehlender Beweise glaubt auch er an rituelle Gewalt an Kindern. SRF

Der Glaube verbreitet sich – ohne einen einzigen Beweis

Werner ist auch im Film «Parallelwelten» zu sehen, den der Verein CARA produziert hat und den Soziologe Kovic als «Propaganda» bezeichnet. Werner rechtfertigt seinen Auftritt in diesem Film damit, dass er diesen Gruppierungen erläutern wollte, welche Probleme die Polizei bei den Ermittlungen solcher Fälle habe und was allenfalls hilfreich sein könnte.

Der Glaube an satanistische rituelle Gewalt findet in der Schweiz immer mehr Verbreitung, wie die Recherche zeigt. Nicht nur Therapeuten oder Polizisten schenken diesen Geschichten Glauben, auch Lehrerinnen und ein Politiker tun das und verbreiten die Erzählungen weiter. Beweise bleiben sie schuldig.

Stellungnahmen zur Recherche

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Alle Personen, die für den Beitrag von «Rec» interviewt wurden, wurden mit den Recherchen sowie den Standpunkten der beiden Experten Georg Otto Schmid und Marko Kovic konfrontiert.

Die interviewten Personen bezweifelten in ihren Antworten die Standpunkte der Experten. Es fehle den Experten an Nähe zu den Opfern, um die Situation richtig einzuschätzen. Zudem betonten die Interviewpartner, dass es sich bei satanistisch ritueller Gewalt nicht um eine Verschwörungserzählung handelt.

Stadtpolizist Thomas Werner ergänzt zu seinen Aussagen, dass es sich bei solchen Anzeigen um Offizialdelikte handle, die von Amtes wegen verfolgt werden müssen.

Die Clienia Littenheid AG teilt in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber «10vor10» mit:

«Wir sind in unserer Klinik immer wieder mit schweren Traumatisierungen konfrontiert, deren Ursprung oft nur schwer feststellbar ist. Ob, und falls ja, in welcher Form es rituelle Gewalt gibt, massen wir uns nicht an zu beurteilen. Dies ist insbesondere Sache der Strafverfolgungsbehörde. Die Clienia Littenheid distanziert sich in aller Form von den persönlichen Aussagen des Oberarztes. Wir nehmen dies sehr ernst und haben umgehend interne Abklärungen eingeleitet.»

SRF 1, 10vor10, 15.12.2021, 21.50 Uhr;

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