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Vom Personalwesen zum HR Unsichtbare Arbeit: Was machen eigentlich Human Resources?

HR gibt es in fast jeder Firma. Wofür diese zuständig sind, ist für viele ein Rätsel. Spurensuche in drei Schweizer Unternehmen – bei den Machern hinter den Machern.

HR gehört zu dem, was der britische Soziologe Irving Goffman einmal «unsichtbare Arbeit» nannte: Solange der Laden läuft, nimmt man die Arbeit des HR gar nicht wahr. Dabei deckt HR von A wie «Auszahlung» bis Z wie «Zukunftsperspektive» alles ab, was mit dem Personal zu tun hat.

Was bedeutet HR genau?

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Was früher Personalwesen hiess, heisst heute neudeutsch «Human Resources», kurz HR.

Es umfasst die immateriellen Ressourcen, die ein Arbeitgeber durch seine Mitarbeiter erhält: deren Wissen, Fähigkeiten und Motivation. Damit diese Ressourcen für die Ziele des Unternehmens genutzt werden können, bedarf es des «Human Resource Managements». HR-Mitarbeitende kümmern sich um alle Belange, die mit dem Personal des Unternehmens in Zusammenhang stehen.

Das HR berät Führungskräfte, gestaltet die Unternehmenskultur mit und ist für die Rekrutierung zuständig. Neben Administrativem (Löhne, Zeugnisse etc.) fallen die Organisationsentwicklung sowie Transformationsprozesse und Personalentwicklung in deren Arbeitsbereich: Talentidentifikation, Talentförderung, lebenslanges Lernen.

Drei Unternehmen stehen beispielhaft dafür, was HR heutzutage ausmacht: Sie machen alle die herkömmliche «unsichtbare HR-Arbeit», haben mit manch ungewöhnlichen Ansätzen Erfolg und sind als Arbeitgeber geschätzt: die Zürcher Kantonalbank, die dafür mehrfach ausgezeichnet wurde, das Kinderspital Zürich und die noch junge Firma Nightnurse Images, die weltweit Architekturvisualisierungen produziert.

Die ZKB – Frauen in Führung

Für Judith Oldekop, HR Business Partnerin bei der Zürcher Kantonalbank, ist für modernes Personalwesen vor allem eine Frage entscheidend: Wie kommen Frauen in Führungspositionen?

Aussenansicht eines grauen Gebäudekomplexes. Im Vordergrund fährt eine Tram vorbei.
Legende: Dank unkonventioneller Personalpolitik landen bei der Zürcher Kantonalbank immer mehr Frauen am Steuer. Zürcher Kantonalbank

Manche Unternehmen beschäftigen sich hiermit so lange ergebnislos, dass böse Zungen von «struktureller Verhinderung» sprechen. Bei der Zürcher Kantonalbank hat man den «Driver Seat» eingeführt: Frauen ans Steuer, «um ihnen die Möglichkeit zu geben, in eine Führungsposition reinzuschnuppern. Begonnen haben wir damit im Private Banking.»

Oft gebe es Berührungsängste, sagt Oldekop: «Frauen dürfen vier Wochen lang die Führungsposition desjenigen übernehmen, der auf diesem Stuhl sitzt. Das ist eine lange Zeit.» Das will organisiert sein – auch zu Hause. Da zeige sich oft, wie gross der Rückhalt beim Ehepartner tatsächlich ist. Denn noch immer ist es üblich, dass mehr Frauen statt Männern zu Hause übernehmen.

Nach einem Pilotversuch bewarben sich deutlich mehr Frauen auf Führungspositionen. 2022 wurde der Pilotversuch auf die ganze Bank ausgerollt.

Augenhöhe statt Fragebogen

Auch klassische Jahresgespräche gibt es bei der Zürcher Kantonalbank so nicht mehr. Es gehe laut Oldekop darum, «einen Dialog auf Augenhöhe zu schaffen.» Die Fragebögen mit Kästchen zum Abhaken sind abgeschafft und Gespräche werden weitgehend frei geführt.

Es geht um den permanenten Dialog, der nicht nur einmal im Jahr stattfindet, «denn was im Januar abgemacht ist, kann im Sommer schon Makulatur sein. Im regelmässigen Dialog sind wir näher an Mitarbeitenden und ihrer Entwicklung», so die HR-Expertin.

SRF-Schwerpunkt «Zahltag»

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Eine Frau balanciert auf einem Drahtseil, links trägt sie eine Geldmünze, rechts ein Herz.
Legende: SRF

Im  Schwerpunkt «Zahltag»  beleuchtet SRF den Wandel der Arbeit und das Verhältnis dazu. Ab 28. April 2023 stehen im Fernsehen, im Radio und online  zahlreiche Beiträge auf dem Programm .

Die Zürcher Kantonalbank ist ein breit aufgestelltes Unternehmen mit unterschiedlichen Abteilungen. Deshalb gibt es nicht eine einzige Organisationsform über das ganze Unternehmen, sondern verschiedene. «Bei der Entscheidung für eine spezifische Organisationsform reicht es nicht, dass etwas modischer Trend ist. Sie muss das bestmögliche Produkt für den Kunden erzielen.»

In der IT etwa habe sich gezeigt, dass eine klassisch hierarchische Rollenverteilung nicht funktioniert. Da brauche man ein agiles Setup. «Wir sind übrigens einer der grössten IT-Arbeitgeber im Kanton», sagt Oldekop.

Uni-Kinderspital Zürich – Nie wieder Notenskala

Am Universitäts-Kinderspital Zürich, kurz: Kispi, ist Organisations- und Personalentwicklung Chefsache – und die Zusammenarbeit mit dem HR eng. CEO Georg Schäppi und Head of HR Matthias Bisang erscheinen gemeinsam zum Interview. Auch für sie stehen drei Dinge stilbildend für modernes Personalwesen.

Moderner Innenhof mit kreisrundem Ausblick in der Denke. Es laufen Menschen in weissen Kitteln über den Hof.
Legende: Genauso modern wie der Neubau des Universitäts-Kinderspitals Zürich ist auch seine Unternehmenskultur. KEYSTONE / KISPI / HERZOG UND DE MEURON

«Wir legen einen grossen Wert auf die Firmenkultur», sagt CEO Schäppi. Das sagen viele. Aber am Zürcher Kinderspital sind die Massnahmen der Leitung in Zusammenarbeit mit dem HR sehr breit gefächert.

Duzen für den Dialog

Die Bewertungsbögen mit Notenskala für das Mitarbeitendengespräch sind auch hier wie bei der ZKB abgeschafft. Themen werden gemeinsam auf Augenhöhe erörtert.

Um die interne Kommunikation zu verbessern, hat Georg Schäppi Livestreams oder Dialog-Cafés initiiert, um möglichst viele Mitarbeitende gleichzeitig zu erreichen, und zwar «über alle Stufen hinweg, um deren Meinung zu hören, ohne dass sie an freien Tagen ins Kispi müssen». Das ist bei 3000 Mitarbeitenden im Schichtbetrieb ein Kunststück.

Wenn man Mitarbeitende fragt, muss man sie auch hören
Autor: Georg Schäppi CEO des Universitäts-Kinderspitals Zürich

Schäppi ist wichtig, «dass man sich in die Augen schaut und ‹Grüezi› sagt und sich am liebsten duzt. Das klingt banal, ist es in einem Spital aber nicht, weil hier sehr viele Menschen mit sehr unterschiedlichem Hintergrund zusammenarbeiten».

Bei einer Urabstimmung unter Mitarbeitenden stimmten 92 Prozent für das Du. Daraufhin wurde es umgesetzt. «Wenn man Mitarbeitende fragt, muss man sie auch hören», sagt Schäppi. Das gilt im Kispi auch, was die Unternehmensentwicklung betrifft.

Gemeinsam statt Top-down

«Wir erfinden unser Spital gerade neu», sagt Schäppi. Das Kispi zieht an einen neuen Standort: «Wir müssen alle Arbeitsprozesse abbilden, und das in einem unglaublichen Tempo.» Das könne nicht Top-down erfolgen.

Fünf Menschen stehen in einem grossen weissen Zelt.
Legende: Zusammen im Zelt: Am Kispi Zürich entscheiden die Mitarbeitenden darüber, wie ihr Arbeitsplatz in Zukunft aussehen wird. SRF / Franz Kaperski

«Am Kispi haben wir ein Zelt im Hof aufgestellt und die Arbeitsprozesse mit den Mitarbeitenden aus allen Bereichen in Innovations-Workshops neu entwickelt: Wir stellten die Zimmer nach und haben uns gefragt: Wer braucht was, um arbeiten zu können? Das war ein integrativer, transparenter, intensiver Ansatz, gekoppelt an das Versprechen, dass wir das auch umsetzen.»

Fachkräftemangel ist meist hausgemacht

Vor 20 Jahren war es noch so, dass Fachkräfte eine Arbeitsstelle suchten. Heute ist es oft umgekehrt: «Wir als Arbeitgeber müssen uns bei den Arbeitnehmenden bewerben und attraktiv sein», erklärt Bisang. In der Studie « Best Recruiters » werden die 400 grössten Unternehmen in der Schweiz jährlich getestet.

«Da waren wir in den letzten Jahren im Gesundheitswesen immer auf Platz eins im Ranking, diesmal über alle Branchen hinweg», sagt Bisang. Und Schäppi fügt an: «Wir können uns nicht differenzieren über den Lohn. Es muss über den Inhalt gehen. In einem Spital zu arbeiten, stiftet Sinn, in einem Kinderspital noch mehr.»

Eindrücke von der grössten HR-Messe, der HR Today in Oerlikon

Genauso wichtig sei das Umfeld. Das Spital müsse seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern berufliche Perspektiven bieten können. Denn: «Wir brauchen ausgebildete, gut weitergebildete Mitarbeitende. Das kommt dem Patienten zugute und unseren Mitarbeitenden. Wir setzen ausser auf Perspektive auch auf Kontinuität. Manche sind seit 30 Jahren hier.»

Wie sieht Personalentwicklung heute aus?

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Eine Frau mittleren Alters lächelt freundlich in die Kamera
Legende: Astrid Hausherr Fischer, Senior Management Consultant Astrid Hausherr Fischer

Astrid Hausherr Fischer ist Senior Management Consultant für Training, Beratung und Coaching und hat jahrelang die Abteilung «Learning and Development» bei Siemens geleitet.

SRF: Wie sehr hat sich Ihr Bereich in den letzten Jahren verändert?

Astrid Hausherr Fischer: Sehr. Es wäre fatal, wenn der Bereich HR und die interne Weiterbildung stehengeblieben wären. Wichtige Faktoren der Veränderungen sind die digitale Transformation, der Werte- und der demografische Wandel, New Work und das Ausscheiden der Babyboomer. Mit all dem müssen Unternehmen proaktiv umgehen.

Wem und was muss HR gerecht werden?

Einerseits muss HR den Geschäftsanforderungen gerecht werden, andererseits konsequent die Menschen im Blick haben und Orientierung bieten – ein spannendes Feld mit einem grossen Spektrum an unterschiedlichen Aufgaben.

Bei allen Veränderungen im Unternehmen muss man fragen: Was heisst das für die Angestellten? Welche Unterstützung müssen wir anbieten, welche Qualifikationen und Unternehmenskultur braucht es, um das umzusetzen? Dafür haben wir spezifische Weiterbildungs- und Beratungsangebote bereitgestellt .

Wie haben sich die Anforderungen an Führungskräfte verändert?

Vor einigen Jahren hat man persönliche Eigenschaften von Führungskräften, dann wieder Führungsstile oder strategische Fähigkeiten in den Vordergrund gestellt. Kommunikations- und Entscheidungskompetenz, Konfliktfähigkeit und eine wertschätzende Beziehungsgestaltung sind unumgänglich.

Bei Siemens wurde die Abkehr von festgeschriebenen Kompetenzprofilen eingeläutet – hin zu einer offenen, systemischen und agilen Definition von Führung.

Wir brauchen heute Führungskräfte, die in verschiedenen Kontexten situations- und personenbezogen agieren können und die Balance halten zwischen notwenigen Strukturen und dem Denken in Möglichkeiten, um das Heft des eigenen Handelns verantwortungsvoll in der Hand zu behalten.

Wer Fachkräftemangel beklagt, wie gerade auf der grössten HR-Messe in Oerlikon geschehen, hat ihn in der Regel mitverschuldet. 20 Jahre bestehe der schon, hiess es vielfach auf grossen Podien. Mancher im HR wie in der Unternehmensführung hat die Zeichen der Zeit verschlafen: Wer Mitarbeitenden keine guten Arbeitsbedingungen ausser dem Lohn bietet, kommt 20 Jahre zu spät.

Nightnurse Images: Die Kunst des Kreises

Bei Nightnurse Images in Zürich arbeiten zwei Dutzend Mitarbeiter. Daneben hat das Unternehmen, das auf Architekturvisualisierungen spezialisiert ist, noch eine Aussenstelle in Buenos Aires.

Organisiert ist das Unternehmen nach der «Holacracy», einem Organisationsmodell, das nicht über Hierarchie funktioniert. Die Mitarbeitenden sind in «Kreisen» organisiert, ihre Aufgaben und Kompetenzen erscheinen als «Rolle». Jede und jeder kann zu mehreren Kreisen gehören, also an verschiedenen Projekten arbeiten und dort verschiedene Aufgaben, sprich: Rollen, haben.

Holy ... was? Was ist Holacracy?

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Holacracy sorgt dafür, dass Mitarbeitende gestalten. Zu Beginn unterzeichnen alle die sogenannte «Holacracy Constitution», also eine Verfassung. Darin werden der Entschluss und die wichtigsten Regeln formuliert, wie Mitarbeitende selbst entscheiden.

Die Aufteilung «Die da oben – wir hier unten», gibt es nicht. HR-Aufgaben sind nicht in eine Abteilung ausgelagert, sondern können durch geregelte Abläufe von allen initiiert und durchgeführt werden.

Ausser Nightnurse ist in der Schweiz etwa auch die Firma Freitag nach Holacracy organisiert.

HR-Aufgaben gestaltet Nightnurse Images anders als in klassischen Organisationen. Hört dort ein Chef, jemand mache seinen Job nicht, dann spricht der Chef mit demjenigen – im besten Fall. Wobei so manche das Problem einfach aussitzen.

Bei Nightnurse Images hingegen kann ein Teammitglied einen geregelten Prozess, ein «Review» auslösen, wenn jemand im Team mit der Arbeit nicht nachkommt. Alle, die das betrifft, setzen sich zusammen – sowie drei Menschen, die diesen Prozess begleiten. Die Entscheidungen werden dann in diesem Gremium gefällt.

Ein halbes Dutzend Männer und Frauen stehen in einem Büro um einen Tisch herum und lächeln
Legende: Alle für eine: Die Nightnurse-Gründer Christoph Deiters, Lutz Kögler und Christopher Saller und ihr Team unterzeichnen die «Holacracy Constitution». Nightnurse

Lohnerhöhungen verhandelt man normalerweise mit seinem Chef. Vollständige Lohntransparenz ist selten. Da über Geld nicht geredet wird, bleibt es diffus.

Bei Nightnurse Images muss man ein Gesuch schreiben, um mehr Geld zu verlangen, legt allen offen, um wie viel es geht und begründet, warum die eigene Arbeit mehr wert ist als bis anhin bezahlt.

Knarz mit der Kommunikation

In vielen hierarchisch organisierten Unternehmen beklagt die Führung, dass Informationen nicht durchdringen oder angenommen werden. Die Basis moniert, die Führung treffe intransparente Entscheidungen, frage weder die Mitarbeitenden noch höre sie ihnen zu.

Entscheidungsprozesse gestaltet man bei Nightnurse Images offen. Klar ist auch, wer welche Entscheidung aus welchen Gründen getroffen hat. Da muss kein HR vermitteln, jeder ist Teil des Missstandes oder des Gelingens. Verantwortung kann man in einer Holacracy-Organisation nicht delegieren.

Das sind harte Auseinandersetzungen, die alle betreffen und in die Verantwortung nehmen – mit teils harten Konsequenzen: Einer der Gründer hat das operative Geschäft verlassen. Aktien hält er weiterhin. «Was aber nicht heisst, man hätte sich überworfen», erklärt Christoph Deiters, einer der Leiter.

Der Weggang habe für Klarheit gesorgt und Entwicklungen befördert, mit denen weitere Mitarbeiter nicht einverstanden waren und die Firma verliessen. «Schmerzhaft war das», sagt Mitbegründer Christopher Saller. Aber für die Firma sei es besser, handlungsfähig zu sein, anstatt sich in Grabenkämpfen zu verzetteln. «Jetzt ist auch klar, wer wirklich an Bord ist», sagt Saller. Innere Kündigungen kann es bei Holacracy auf Dauer kaum geben.

Der Faktor Mensch

Personalfragen sind heute komplexer als früher. Der Blickwinkel hat sich geändert. Manche HR-Abteilungen kümmern sich um den Faktor «Mensch», um die Art, wie man zusammenarbeitet.

Vor 50 Jahren war das Produkt nach aussen das Gesicht der Firma, heute sind es die Menschen.

Transparenzhinweis: Der Autor arbeitete neben seiner Tätigkeit bei SRF fast 20 Jahre als diplomierter systemischer Unternehmensberater und Coach für lokale, nationale und internationale Firmen sowie für städtische, staatliche und kulturelle Institutionen.

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Radio SRF 1, Treffpunkt, 01.05.2023, 10:03 Uhr

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