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Angstmacherei und Hetze Warum glauben wir an Verschwörungstheorien?

Durch das Internet bekommen Verschörungstheorien Aufschwung. Warum das so ist – und was das Gefährliche an ihnen ist, erklärt Experte Marko Kovic.

SRF: Warum ist der Mensch so anfällig für Verschwörungstheorien?

Marko Kovic: Sie lenken uns von unserem Alltag ab, lassen das Leben interessanter erscheinen als es oft ist. Zudem fällt es dem Menschen schwer, keine Erklärung für ein Ereignis oder die Unfairness der Welt zu haben.

Ein dritter Grund ist unsere evolutionsbiologische Disposition zu Stammesgesellschaften. Daher rührt auch unser Gruppendenken woraus letztlich Rivalitäten entstehen. Das heisst: Wer nicht Teil meines Kollektivs ist, der ist mir suspekt.

Aktuelles Beispiel sind die Überschwemmungen in Houston. Darüber gibt es bereits jetzt Verschwörungstheorien.

Welche Themen eignen sich besonders für Verschwörungstheorien?

Zur Person

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Legende: Eda Gregr

Marko Kovic hat an der Universität Zürich in Kommunikationswissenschaften promoviert, ist CEO des Beratungsunternehmens Ars Cognitionis sowie Präsident der Think Tanks Skeptiker Schweiz sowie ZIPAR.

In der Neuzeit zeigt sich, dass sehr einprägsame Ereignisse oft und schnell solche Theorien provozieren. Ein aktuelles Beispiel sind die Überschwemmungen in Houston.

Darüber gibt es bereits jetzt Verschwörungstheorien. Etwa dass der Sturm nicht natürlich gewesen sei, sondern als Waffe eingesetzt wurde. Ein entsprechendes Youtube-Video dazu wurde bereits mehr als 100'000 Mal angeklickt.

Historisch gesehen sind es langfristige Zustände von Unbehagen, auf die man mit Klischees reagiert. Hier ist der Antisemitismus ein klassisches Beispiel. Die Ausgrenzung einer Gruppe wird dadurch legitimiert, dass man Verschwörungstheorien formuliert.

Ein Beispiel ist die Ritualmordlegende. Aber es gibt heute diverse andere Verschwörungen – beispielsweise die der «Weisen von Zion», welche besagt, dass Juden ein jüdisches Weltreich planen und die Weltherrschaft an sich reissen wollen.

Es geht darum, ob die Theorie in meine persönliche Sicht der Welt hineinpasst.

Sie sprechen die «blood libel» an – eine Ritualmordlegende. Diese führte mehrfach zur Verfolgung und Ermordung von Juden. Sie besagt, dass Juden christliche Kinder ermorden würden, um deren Blut rituell zu verwenden. Welche Mechanismen sehen sie in dieser Verschwörungstheorie?

Dieser Fall ist in der Tat exemplarisch. Denn der Sachverhalt wirkt aus heutiger Sicht geradezu absurd. Bei Verschwörungstheorien ist genau das ein interessantes Kennzeichen. Es geht darum, ob die Theorie in meine persönliche Sicht der Welt, in meine eigene Geschichte hineinpasst. Irrationalität wird da zweitrangig.

Zudem sieht man bei dieser Legende die Gruppenbildung sehr gut. Mitglieder der «Ingroup» sind moralisch überlegen und haben nur hehre Ziele; Mitglieder der «Outgroup» sind intrinsisch böse, ihnen gilt es zu misstrauen. Dieser Kontrast von Gut gegen Böse oder David gegen Goliath ist ein weiteres Merkmal.

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Hat das Internet den Verschwörungstheorien eine neue Dynamik gegeben?

Das Internet hat alles verändert. Einerseits kann man sich so die Theorien suchen, die einen selbst bestätigen, sich also Legitimation verschaffen. Zugleich erreicht man innert kürzester Zeit eine Unzahl an potentiellen Empfängern. Deswegen ist der Online-Video-Diskurs auch zum Hauptvektor von Verschwörungstheorien geworden.

Interessanterweise ist für uns Menschen die Autorität einer Quelle oder die Qualität eines Arguments weniger wichtig als die Masse von Informationen, die uns erreichen. Wenn ich also zehnmal dieselben Inhalte höre, dann überzeugen sie mich – unabhängig von ihrer Qualität.

Beim Menschen gibt es diesbezüglich einen kognitiven Fehler, den sogenannten «anchoring bias». Die erste Information, die wir zu einem Thema bekommen, die bleibt uns sehr stark in Erinnerung. Alle weiteren Infos werden damit abgeglichen.

Was für ein politisches Gewicht haben solche Theorien?

Das ist sehr problematisch: Heute sind sie immer wieder im Zentrum von politischen Szenen. Donald Trump ist das Paradebeispiel für den Erfolg von Verschwörungstheorien. Mit all den Akteuren, speziell den rechtspopulistischen Bewegungen, sehe ich da eine grosse Gefahr.

Welche Dynamik das einnehmen kann, sieht man auch sehr gut am Beispiel der Dortmunder Silvesternacht: Zwei voneinander unabhängige Ereignisse – die syrische Waffenstillstandsfeier von etwa 75 Syrern und der Schmorbrand an der Reinoldikirche am 31. Dezember 2016 – wurden auf höchst problematische Weise miteinander verknüpft. Plötzlich wurde berichtet, dass Flüchtlinge die Kirche willentlich angezündet hätten. Für die Verbreitung dieser falschen und höchst brisanten Informationen war vornehmlich auch das Nachrichtenportal Breitbart verantwortlich.

Das Gespräch führte Olivia Röllin.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 10.9.2017, 23.30 Uhr.

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