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Gesellschaft & Religion Warum wir aus den Ferien Karten wollen – und keine SMS

«Herzliche Grüsse aus …», «Das Essen ist prima» – auf unseren Postkarten stehen die immer gleichen Floskeln. Trotzdem freuen wir uns darüber. Denn eigentlich geht es nicht um das, was auf der Karte steht. Aber worum dann? Der Linguist Heiko Hausendorf im Interview über «die gute alte Postkarte».

Was fasziniert Sie als Linguist an Ansichtskarten?

Heiko Hausendorf: Ich entdecke, was man alles auf diesem kleinen Raum schreiben kann. Gestern habe ich eine Karte von einem Freund und Kollegen bekommen. Er hat die Karte vollgeschrieben, gab sie dann aber noch seiner Frau. Und die schrieb in Grossbuchstaben an den Rand: «Alles ausnützen». Das finde ich ausgesprochen originell, ich musste richtig lachen.

Sie haben bisher etwa 8000 Postkarten angeschaut und gelesen. Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Schreiben alle über das Wetter?

Heiko Hausendorf

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Legende: Uni Zürich

Heiko Hausendorf ist Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Zürich. Er beschäftigt sich mit mündlicher und schriftlicher Alltagskommunikation. Dabei hat er auch Texte auf Karten analysiert, und mit der verschickten Ansichtskarte als Zeitzeugnis.

Fast alle. Über das Wetter zu schreiben ist, glaube ich, einer der Zugzwänge, wenn man solche Karten schreibt. Oder zumindest etwas, das von einem erwartet wird: sowohl, wenn das Wetter gut, als auch schlecht ist. Wir alle kennen diesen Aufzählungsmodus, in den man leicht verfällt: «Wetter prima», «Essen geht so» und «Strand hervorragend». Oder irgendetwas in der Art.

Warum schreiben wir solche Sachen?

Ich glaube, dass wir eine bestimmte Erwartungshaltung haben, was zu einem Urlaub gehört. Fast niemand schreibt: Ich arbeite hier den ganzen Tag. Oder: Ich sitze nur drinnen. Diese Idee, irgendwo anders zu sein, die auch gesellschaftlich geprägt ist, schlägt sich in diesen Schreibmustern nieder.

Hat sich der Inhalt der Postkarten-Grüsse im Laufe der Zeit dann überhaupt massgeblich verändert?

Die typischen Themen, über die wir gerade gesprochen haben, kommen in den 60er- und 70er-Jahren auf. Heutzutage wird immer wieder das Schreiben selbst zum Thema gemacht. Viele Leute schreiben so etwas wie: «Endlich mal wieder eine gute alte Postkarte.» Oder: «Ich schicke Dir jetzt keine SMS, sondern eine Karte.»

Wie gross ist die Konkurrenz der SMS oder Facebook?

Ich glaube, dass man diese Konkurrenz überschätzt. Und die Ansichtskarte unterschätzt. Das sieht man allein daran, dass elektronisch einiger Aufwand betrieben wird, Ansichtskarten-Fakes herzustellen. Aber was man nie herstellen kann, ist die Materialität der Karte. Also etwas, was man an den Kühlschrank heften kann, was Spuren des Transports trägt. Man muss ja nicht mal Briefmarken-Freund sein, um schätzen zu lernen, was man alles an Spuren auf so einer Karte findet.

Also kann man sagen, die Postkarte erzählt Zeitgeschichte?

Ja, absolut. Das ist auch das, was daran interessant ist. Niemand von uns hat in der Schule gelernt, wie man so eine Karte schreibt. Aber ist es nicht verrückt, dass wie dieses Muster alle mehr oder weniger beherrschen? Das ist auch etwas, was uns Linguisten daran interessiert.

Sie gehen jetzt auch in den Urlaub. Wem schicken Sie eine Postkarte? Und was steht drauf?

Ich habe kein Rezept, wenn ich Ansichtskarten schreibe. Aber ich schreibe keine Karte aus Pflichtgefühl, etwa weil ich so eine Liste zum Abarbeiten dabei habe. Ich nehme mir Zeit dafür. Und ich versuche, dass ich selber Spass am Schreiben habe. Das würde ich allen empfehlen, denen der Aufwand nicht zu gross ist, Karte und Briefmarke zu besorgen und beides dann in einen Briefkasten zu stecken.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 28.07.2014, 17:45 Uhr.

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