An der langen Bar im «Gijs de Rooij» sitzt eine Handvoll älterer Stammgäste vor einem Glas Bier. Zu den Klängen niederländischer Schlager unterhalten sich die einen mit dem Wirt, während andere ins Leere starren. Er besuche dieses «Bruine Café» an der Javastraat im Osten von Amsterdam fast täglich, sagt ein 63-jähriger Lastwagenchauffeur: «Es ist gesellig hier und jeder kennt jeden.»
Die alte Kneipe mit den weissen Spitzenvorhängen vor den Fenstern ist einfach eingerichtet: runde Holztische, Geldspielautomat, Dartscheibe und eine grosse Wandtafel, auf der mit Kreide die Biersorten aufgelistet sind. Und natürlich liegen Teppiche auf den Tischen, wie sich das für ein «Bruine Café» gehört. «Dadurch fühlen sich die Leute hier Zuhause», erklärt der Beizer Gijs de Rooij.
Der 61-Jährige, der eine dicke Goldkette über dem blauen Hemd trägt, hat die nach ihm benannte Kneipe vor 40 Jahren von seinem Vater übernommen. Zwar hätte er damit bis zu seinem 25. Lebensjahr warten müssen, wie es das Gesetz verlangte. Da er aber bereits im Besitz des Fähigkeitsausweises war, drückten die Kontrolleure aus dem Ministerium ein Auge zu. Die Stammgäste versicherten, der junge Mann könne gut Bier zapfen und sei auch sonst seiner Aufgabe gewachsen.
Die Trinkkultur ändert sich
«Damals war niemand reich», erzählt der Wirt. Vielmehr hätten alle ihre Armut im Café versoffen. Ein Bier kostete 65 Gulden-Cent – fast acht mal weniger als heute. Die Augen von Gijs de Rooij beginnen zu leuchten, wenn er von der guten alten Zeit erzählt. Damals sei es üblich gewesen, vor dem Abendessen im Café ein «bittertje» zu trinken, ein Bier mit einem Gläschen Wacholderschnaps. Heute konsumiert dieses Traditionsgetränk niemand mehr. Der Wirt hat es inzwischen aus dem Sortiment genommen.
Nicht nur die alte Trinkkultur verschwindet, es gibt auch immer weniger «Bruine Cafés». An der Javastraat befanden sich früher in einem Umkreis von ein paar hundert Metern mindestens fünfzehn dieser typischen Kneipen mit den dominierenden Brauntönen. Inzwischen sind es nur noch zwei. Gijs de Rooij sieht den Grund für ihr Verschwinden in der veränderten Struktur der Bevölkerung und dem abhanden gekommenen Zusammengehörigkeitsgefühl im Quartier.
Die Stammgäste bleiben unter sich
Der Wandel im Gastgewerbe vollzieht sich am auffälligsten in den grossen Städten. Während hippe und trendige Lokale wie Pilze aus dem Boden schiessen, schliessen immer mehr «Bruine Cafés» ihre Türen. Dass die jüngere Generation die altehrwürdigen Holland-Kneipen meidet, ist an Freitagabenden besonders gut zu beobachten. Während die Besucher im Traditionslokal «Gijs de Rooij» an einer Hand abzuzählen sind, herrscht im modernen «Walter’s» gegenüber grosses Gedränge.
In den alten Kneipen würden ihn die Stammgäste kaum beachten und er habe deshalb immer das Gefühl, fehl am Platz zu sein, sagt ein 25-jähriger Mann, der an der Bar vom «Walter’s» einen Gin-Tonic trinkt. «Ich sitze gerne mit Menschen zusammen, mit denen ich mich identifizieren kann», erklärt er seine Abneigung gegen «Bruine Cafés». Andere Gäste pflichten ihm bei.
Als die Wirtin Sarah Reijnen ihre mit bequemen Lounge-Sesseln und Schaukelstühlen eingerichtete Bar eröffnete, war für sie klar, dass sie mit etwas Neuem und Überraschendem kommen musste, wenn sie erfolgreich sein wollte. Ihre Rechnung scheint aufzugehen: Das «Walter’s» läuft gut. An den Wochenenden kämen inzwischen nicht nur Quartierbewohner, sondern Gäste aus der ganzen Stadt, erzählt die 31-Jährige. Sie könne sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Ob sie allerdings auch 40 Jahre lang wirten wird, wie ihr Nachbar Gijs de Rooij, weiss sie jetzt noch nicht.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 09.01.2015, 16:45 Uhr.