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Welten des Islam Muslime slammen mit Worten gegen Vorurteile

Sie sind jung, muslimisch und nicht auf den Mund gefallen. Selbstbewusst treten sie Klischees und Vorurteilen entgegen – mit Poesie. Sie nennen sich «i,Slam», organisieren Poetry Slams in ganz Deutschland und halten jenen den Spiegel vor, die vor einer Islamisierung des Abendlandes warnen.

Iman steht auf der Bühne und liest einen Text: ein Zwiegespräch mit ihrem Vater, der vor vielen Jahren aus Syrien nach Deutschland kam. Es ist ein sehr persönlicher, emotionaler Text über eine ferne Heimat, die keine Heimat mehr ist – vielleicht nie eine war. Sie endet mit den Worten: «Bleibt nur die Frage, was man eigentlich macht, wenn man merkt, dass man etwas liebt – erst in dem Moment, als es zerstört wird.»

Dann betritt Dennis die Bühne. Dennis ist Deutscher, hat einen jüdisch klingenden Familiennamen und ist zum Islam konvertiert. Sein Text beschreibt skurrile Episoden aus seinem Leben als Konvertit. Er beschreibt aber auch die Einsamkeit, die ihn in der Mehrheitsgesellschaft beschleicht, seit er ein Muslim ist.

Rezitieren hat Tradition

Junge Musilimin mit Kopftuch vor Mikrofon.
Legende: Die Slam-Poetin Leila Younes El-Amaire will mit ihrem Verein «i,Slam» junge Muslime ermutigen, sich zu Wort zu melden. Flickr/Mikołaj Pasiński / Fotograf Porträt: Arne List / Bildmontage

Danach Leila: Leila trägt ein Kopftuch – und sie hält jenen, die mit dumpfen Parolen vor der Islamisierung des Abendlandes warnen, den Spiegel vor. Ein scharfer, kämpferischer Text: «Seit der Morgensonne ist es nur noch eine Fata Morgana, dein Abendland».

Mit Poetry Slam haben die jungen Muslime eine zeitgemässe Form gefunden, sich und ihren Befindlichkeiten Ausdruck zu verleihen. Das hat in den arabischen Ländern Tradition. «Dichter und Poeten waren schon immer Superstars im Islam», sagt Youssef Adlah, einer der Initianten von «i,Slam». «Dass Leute ihre Texte nicht nur vorlesen, sondern auch performen, mit Gefühl, Herzblut und Schweiss, das gibt’s schon seit Ewigkeiten.»

Eine Tradition, die sich auch im Motto des Vereins «i,Slam» wiederfindet: «Alles begann mit einem Wort.» Es ist ein Hinweis auf die Offenbarung des Korans. Der Erzengel Gabriel befiehlt dem Propheten Mohammed: «Iqra!» – Lies! Trag vor! Rezitiere!

Vorurteilen entgegentreten

«i,Slam» will deshalb nicht nur ein Wettstreit zwischen Poetinnen und Poeten sein, sondern junge Muslime ermutigen, sich zu Wort zu melden. Sie sollen nicht alles erdulden, was an übler Nachrede und Vorwürfen über sie ausgeschüttet wird – von Menschen, die vom Islam wenig oder gar nichts wissen.

Leila Younes El-Amaire ist in Berlin geboren; sie ist die Tochter einer Syrerin und eines Palästinensers. Für sie war die Diskussion um Thilo Sarrazins krude Thesen in seinem Buch «Deutschland schafft sich ab» mit ein Grund, sich bei «i,Slam» zu engagieren. «Es kann doch nicht sein, dass die ganze Zeit irgendwelche Leute über Muslime sprechen, aber nie mit Muslimen», meint sie.

Diskussionen unter Muslimen

Nicht nur der Kampf gegen Vorurteile spricht aus vielen Texten der «i,Slam»-Poeten. Auch Diskussionen und Auseinandersetzungen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft werden thematisiert. Oft ironisch, manchmal zum Ärger der einen oder anderen Seite.

«Allein die Tatsache, dass wir von den Liberalen und den Konservativen gleichermassen kritisiert werden, zeigt uns, dass wir uns ziemlich gut in der Mitte befinden. Dass wir das richtig machen», glaubt Youssef Adlah. «Viele unserer Slam-Poeten sprechen auch über Terror oder das Kopftuch – aus unserer Sicht. Wir befassen uns mit dem Streit unter den Muslimen aus einer muslimischen Perspektive. So werden wir zu einer Begegnungsstätte, wo Muslime und Nicht-Muslime nebeneinander sitzen, dieselbe Kunst wahrnehmen und am Ende gemeinsam rausgehen und sagen: Die Typen von ‹i,Slam› sind verdammt cool.»

Gottes Auftrag

Youssef Adlah, der im syrischen Aleppo geboren wurde, sehnt sich nach einem differenzierten Blick auf die Welt des Islams. Mit viel Witz und Ironie agiert er in Youtube-Videos, mit denen die «i,Slammer» noch mehr Publikum erreichen wollen. Auf die Frage: «Für wen macht ihr das?», antwortet er spontan: «Für Gott. In erster Linie für Gott. Das ist unsere Pflicht. Gott hat uns entsandt als Statthalter, um die Welt zu bewahren. Und nicht, um sie kaputt zu machen. Das ist für mich der wichtigste Antrieb.»

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