- Im Buch «Weltgeschichte für junge Leserinnen» erhalten die Männer Konkurrenz. Hier werden Geschichten von wichtigen historischen Frauen erzählt.
- Im Buch wird auch erläutert, welches Rollenbild der Frau zu der jeweiligen Zeit herrschte.
Da gibt es diese Zirkusartistin im damaligen Byzanz: Theodora, die mittlere dreier Schwestern, bezaubert das Publikum – und gehört doch als Künstlerin zur untersten Gesellschaftsschicht.
Dann kauft sie ein Mann frei. Ihm folgt sie erst nach Nordafrika, schlägt sich später allein nach Konstantinopel durch. Dort angekommen, gefallen ihr die Lehren des Christentums. Sie lebt zurückgezogen in einer Hütte, bis sie den Thronfolger Justinian kennenlernt. Die beiden verlieben sich – und heiraten.
Die Frauenperspektive fehlte
Von der geächteten Zirkusartistin zur gefeierten Kaiserin: Geschichten wie diese erzählen die beiden Autorinnen Kerstin Lücker und Ute Daenschel in ihrer «Weltgeschichte für junge Leserinnen». Aus gutem Grund: «Jahrtausende lang wurde Geschichte von Männern konzipiert und aufgeschrieben. Es fehlt die Frauenperspektive», sagt die Geisteswissenschaftlerin Kerstin Lücker.
In ihrem Buch erzählen sie die Weltgeschichte nicht neu, jedoch anders: Sie berichten von den wichtigen Ereignissen und fügen immer auch Frauengestalten hinzu. Denn es gab nicht nur Könige, Diktatoren, Bettler und Erfinder. Sondern auch Pharaoninnen, Sklavinnen, Mathematikerinnen und Astronautinnen.
Diese Frauen wollen die Autorinnen ins weltgeschichtliche Bewusstsein einschreiben. Weltgeschichte und prägende Frauengestalten: Diese beiden Erzählstränge verweben sie ineinander.
Frauen wenig fassbar
Allerdings kommen die einzelnen Frauen darin manchmal etwas zu kurz. Wie ein Konzentrat, das eigentlich noch Wasser benötigt. Wirklich in die Tiefe gehen die Autorinnen kaum.
Man erfährt zwar von einer interessanten Frau, doch fassbar wird sie nicht. Das ist auch dem ambitionierten Projekt geschuldet: Die ganze Weltgeschichte von der Steinzeit bis in die Gegenwart auf nur 500 Seiten ist natürlich komprimiert.
Das Rollenbild der Frauen in der Geschichte
Die Autorinnen haben ausserdem den Anspruch, auch immer zu erläutern, wie Geschichte entsteht und was das jeweils aktuelle Rollenbild der Frau ist. So erfahren wir, dass bereits bei der Hochkultur der Shang in China im 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung eine Tochter statt einen Sohn zu bekommen, als Unglück eingestuft wurde.
Das belegen Funde von beschrifteten Tierknochen aus damaliger Zeit. Diese Perspektive auf Frauenrollen begleitet die Leserinnen und Leser durch ganze Buch. Genau: Auch die Leser.
Auch für den Leser – nicht nur für die Leserin
Zwar heisst das Buch «Weltgeschichte für junge Leserinnen». Doch es richtet sich auch an Jungs. Diesbezüglich ist der Titel unglücklich gewählt. Er lehnt sich an «Eine kurze Weltgeschichte für junge Leser» des Kunsthistorikers Ernst Gombrich an – der Klassiker unter den Geschichtsbüchern für Jugendliche.
Mit diesem Werk hat es auch sonst einige Gemeinsamkeiten – wie das anekdotische Erzählen und das Einbetten einzelner Geschehnisse in grössere Zusammenhänge. Anders als bei Gombrich richten die Autorinnen sich jedoch nicht in der Du-Form an die Leserinnen und Leser.
Und es gibt diesen eklatanten Unterschied: Bei Lücker und Daenschel spielen Frauen eine Rolle. Immer, quer durch alle Zeiten. Sie sind mehr als nur Statistinnen: Manchmal besetzen sie die Nebenrolle, manchmal aber sind sie Hauptfigur.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 09.03.2018, 09:00 Uhr.