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Gesellschaft & Religion Wenn sich die Diagnose «Krebs» in die Familie drängt

Der Krebsmediziner Martin Bleif plante ein Buch über den Krebs, als seine Frau an Brustkrebs erkrankte. Vor drei Jahren ist sie verstorben. Jetzt ist sein Buch «Krebs - die unsterbliche Krankheit» erschienen, eine sachliche und zugleich einfühlsame Auseinandersetzung.

Martin Bleif gehört zu den führenden Krebsspezialisten in Deutschland. Sein Blick auf die Krankheit ändert sich jäh, als seine 35-jährige Frau an Brustkrebs erkrankt. Zwei Jahre später starb Imogen Bleif. Und ihr Mann schrieb ein Buch, das er so nie schreiben wollte.

Fast jeder dritte Mitteleuropäer erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. Die Krankheit ist die zweithäufigste Todesursache in den Industrienationen. So ist die Wahrscheinlichkeit an Krebs zu sterben vielfach höher als das Risiko, Opfer eines Unfalls, eines Verbrechens oder gar eines Terroranschlags zu werden. Harte Fakten, die der Onkologe Martin Bleif in seinem Buch «Krebs – die unsterbliche Krankheit» aufzählt.

Der Krebs wird zum persönlichen Schicksal

Buchhinweis

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Martin Bleif: «Krebs – die unsterbliche Krankheit.» Klett-Cotta, 2013.

«Bis zum 10. April des Jahres 2008 waren in meinem Kopf die Rollen klar verteilt: Die Patienten sind krank. Die Aufgabe der Ärzte ist es, sich um die Kranken zu kümmern», schreibt Bleif. «Für die Onkologen ist der Krebs wie eine Gedenkmedaille; sie leuchtet an der Wand, an der sie tagtäglich vorübergehen. Was den Ärzten aber verborgen bleibt, ist die Kehrseite der Medaille, der Blick in die Seele hinter der Krankheit.»

Die Kehrseite lernt der Arzt Bleif kennen – auf tragische Weise. Seine Frau Imogen erkrankte mit 35 Jahren kurz nach der Geburt ihrer Tochter an Brustkrebs. Zwei Jahre später stirbt sie trotz aller Bemühungen. Plötzlich wird Krebs zu Bleifs persönlichem Schicksal. Seiner Frau und allen vom Krebs betroffenen Menschen widmet er sein Buch.

Es begann mit einem Telefongespräch

Martin Bleif erinnert sich an den folgenschweren Moment, als er von der Diagnose seiner Frau erfuhr: «Am anderen Ende der Leitung war der Direktor der Pathologie. Er zögerte einen Augenblick zu lange, bevor er zu sprechen begann. Schlagartig war mir klar, dass unsere Welt gerade zerstört wurde: «Ja, ich muss Ihnen leider sagen, es ist bösartig. Ein entdifferenziertes, schnell wachsendes Mammakarzinom.» So drängte sich der Krebs in die junge Familie.

Portrait des Onkologen Martin Bleif.
Legende: Der Onkologe Martin Bleif hat eine berufliche und eine persönliche Sicht auf den Krebs. Klett-Cotta, Marijan Murat

Die Diagnose «Krebs» ändert sofort alles, schreibt Martin Bleif. Was vorher Anlass zur Sorge gab, wie materielle oder berufliche Fragen, wird schlagartig unwichtig. Die Kleinlichkeiten, die hie und da den Alltag vermiesen, sind inexistent. Auch, wenn noch nicht klar ist, dass die Erkrankung wie bei seiner Frau ein tragisches Ende nehmen wird, ist die Diagnose eine Hypothek, die nicht mehr wegzudenken ist. Man werde insgesamt grosszügiger, findet Bleif.

Wie kommt es zu Krebs?

«Habe ich etwas falsch gemacht?», überlegt sich Bleifs Frau Imogen. Sie, die sportliche Nichtraucherin und Unfallärztin hatte auch keinerlei genetische Vorbelastung. Gibt es doch Zufall? Ja, schreibt Bleif. Auch wenn bestimmte Faktoren das Krebsrisiko massiv erhöhen, wie Rauchen, Strahlen oder Viren, so führen sie oft, aber nicht zwingend zur Erkrankung. Es muss eine Zufallskomponente geben, die bei der Metamorphose von der Zelle in eine Krebszelle ihre Hand im Spiel hat.

Der Kampf gegen den Krebs

Der Radioonkologe und sein Frau unternehmen alles, um den Brustkrebs zu besiegen. Fast zwei Jahre lang. Diese Zeit zwischen Hoffen und Bangen lässt auch Raum für viele Gespräche zwischen den Eheleuten. Bis zu dem Moment, wo sich die Ehefrau entschliesst, nicht mehr alles dem Kampf gegen den Krebs unterzuordnen. Eine Entscheidung, die sie alleine trifft.

Das Leben in die Hand nehmen

Was wie aufgeben aussehen könnte, schafft tatsächlich Raum für eine lebensbejahende Zeit. Keine Chemotherapie bis zum Letzten. «Jetzt ist genug» ist ein Gefühl, dass viele an Krebs erkrankten Menschen haben, schreibt Bleif. Manchmal gestehen die Kranken sich nicht ein, dass sie nicht mehr gegen die Krankheit kämpfen wollen. Sie möchten es ihrer Umgebung nicht zumuten.

Bleifs Frau konnte das. Sie wurde weiterhin medizinisch betreut, aber sie bekam keine Mittel mehr gegen den Krebs. Ihre letzte Lebenszeit verbrachte sie zu Hause bei ihrem Mann und ihrem Kind. Jede Stunde war kostbar, es gab tiefe Verzweiflung, aber auch grosses Glück. Bleif schreibt: «Mehr als andere brauchen Krebskranke die Fähigkeit, den Augenblick zu greifen und zu leben.»

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