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Co-Parenting Wie die Single-Frau ihren schwulen Prinzen fand

Sie sind kein Liebespaar und haben doch eine gemeinsame Tochter: Christine und Gianni haben sich für Co-Parenting als Familienmodell entschieden.

«Die Wohnung haben wir nach unseren Bedürfnissen umgebaut», sagt die 34-jährige Christine aus Norddeutschland. Sie und der 43-jährige Italiener Gianni haben im Berliner Stadtteil Neukölln zwei Wohnungen zusammengelegt, mit einer gemeinsamen Küche dazwischen. Eine WG, aber mit Privatsphäre. Gianni strahlt über das ganze Gesicht: «Milla ist superglücklich, sie rennt immer von Papa zu Mama, von Mama zu Papa.»

Warten auf den Prinzen

«Einen Kinderwunsch habe ich immer gehabt», sagt Gianni, der in Berlin als Theatermanager arbeitet. Sein Coming Out als homosexueller mit 20 fühlte sich erst wie eine Befreiung an. Doch dann kam die Traurigkeit: «Denn das bedeutet, ich werde nie Vater werden.»

Auch Christine wollte immer Kinder haben. Die anonyme Samenspende war nicht ihr Ding, und sie begab sich auf die Suche nach einem aktiven Vater. Im Internet entdeckte sie nur Samenspenderseiten. «Darin habe ich mich überhaupt nicht wiederfinden können. Das kam ein bisschen aus der Schmuddelecke.»

Gianni fragte erst seine weiblichen Single-Freundinnen: «Hättest Du vielleicht Bock, mit mir ein Kind zu haben? Doch alle haben auf den Prinzen gewartet, nicht aber den schwulen Prinzen.»

Vermittlung im Netz

Was der Markt nicht hergibt, muss man eben selbst gründen, dachte sich Christine. Sie rief 2011 das Internetportal «familyship» ins Leben: Eine Plattform für Menschen, die auf platonischer Basis eine Familie gründen wollen. Der Zuspruch ist sehr gross, auch bei Hetero-Singles, hat Christine überrascht festgestellt.

Auch Gianni entdeckte «familyship»und erstellte sein Profil: «Ich hab sofort meine lustige Seite gezeigt, mein Clownswesen. Aber gleichzeitig geschrieben, dass ich eine Arbeit habe, dass ich strukturiert bin, dass ich kochen kann. Chaot, aber anständig.»

Auch wenn die Chemie zwischen den beiden gleich stimmte, liessen sie sich ein Jahr Zeit, sich kennenzulernen. Dann war der Tag gekommen: Christine führte sich Giannis Samen mit einer Spritze aus einem Becher ein. Beim dritten Versuch wurde sie mit Milla schwanger.

«Man muss das aushalten können»

Christines Eltern reagierten zunächst skeptisch auf ihr Familienmodell. Giannis Mutter fing sogar an zu weinen, erzählt er. «Denn für Leute, die sowas nie gesehen haben, ist das Bild: ‹schwul, Lesbe, zusammen Monster›.» Doch seit dem die kleine Milla auf der Welt ist, sei alles vergeben und vergessen. «Alle lieben Milla wie verrückt.»

Wenn man ein Co-Parenting-Modell lebt, bewege man sich in einer Welt, in der das traditionelle Familienbild dominiert, gibt Constanze Körner vom Regenbogenfamilienzentrum in Berlin zu bedenken. Sie berät Schwule, Lesben und Transpersonen mit Kindern und Kinderwunsch. «Man muss das wissen und aushalten können, und man muss den Rücken stark machen für die Kinder.»

Angst vor Mobbing

In der Kita der kleinen Milla wissen sowohl die Erzieherinnen als auch die Eltern anderer Kinder Bescheid, dass die Dreijährige einen schwulen Vater und eine lesbische Mutter hat.

Gianni ist der offene Umgang mit ihrem Co-Parenting-Modell sehr wichtig. «Es gibt viele Regenbogenfamilien, die eher nicht darüber reden wollen. Sie haben Angst, dass das Kind gemobbt oder diskriminiert wird. Es gibt diese Gefahr. Aber für uns ist es wichtig, dass die Leute mit diesem Thema konfrontiert werden.»

Einsamer, dafür sachlicher

Dass Gianni und Christine kein Liebespaar sind, berge Vor- und Nachteile. Christine fühlte sich am Anfang oft als «Teilzeit-Alleinerziehende». Gianni war für Milla da, aber ihr selbst fehlte eine Schulter zum Anlehnen.

Dafür seien ihre Diskussionen sachlicher als bei Eltern, die ein Liebespaar sind, ist Gianni überzeugt. Emotionsgeladene Spannungen fallen bei ihrem Familienmodell weg.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 8.5.2017, 09:02 Uhr.

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