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Gesellschaft & Religion Wie Philosophie helfen kann, Feindbilder zu überwinden

Der Philosophieprofessor Carlos Fraenkel versteht in seinem neuesten Buch «Mit Platon in Palästina» die Philosophie als einen Weg, Konflikte rund um Religion und Politik zu lösen. Herausgekommen ist ein engagiertes Plädoyer für geistige Offenheit und differenzierte Wahrheitssuche.

Auf den Spuren der Wahrheit reist der kanadische Philosoph Carlos Fraenkel mit uns um die halbe Welt. An den Brennpunkten politischer, religiöser und sozialer Konflikte – etwa in Jerusalem– diskutiert Fraenkel mit den Betroffenen Grundsatzfragen: Was bedeutet Gerechtigkeit? Gibt es Rechtfertigungen für Gewalt, kann man sie überhaupt legitimieren, wenn ja – wie? Wie weiland Platon den Dialog als Mittel einsetzte, so wie Sokrates über die Agora ging und seine Mitbürger durch präzise Fragen aus dem Konzept der Gewohnheit und zum neuen Nachdenken brachte, so praktiziert Fraenkel gelebte Philosophie.

Zur Person

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Legende: ZVG / Hanser Verlag, Vadim Daniel

Carlos Fraenkel, Jahrgang 1971, ist in Brasilien und Deutschland aufgewachsen. Er hat in Jerusalem und Berlin Philosophie studiert und lehrt heute an der McGill University in Montreal. Seine Schwerpunkte sind die politische Philosophie und Religionsphilosophie von der Antike bis zur frühen Neuzeit. Daneben verfasst Fraenkel Essays.

Raus aus dem Elfenbeinturm – rein ins Leben

Der erste Teil des Buches, der uns zu fünf verschiedenen Schauplätzen führt, bezeichnet Fraenkel selbst als «intellektuellen Reisebericht». Die knappen theoretischen Exkurse haben ihren Anker im alltäglichen Leben der Menschen. Fraenkel will wissen, ob und wie Philosophie ausserhalb des akademischen Betriebs praktiziert werden kann.

Dabei scheut der Philosoph Fraenkel den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht. Wir folgen ihm auch dorthin, wo es dunkel und gefährlich ist: Zu einem nächtlichen Treffen im New Yorker Underground, zum Beispiel. Und er erzählt von den Schikanen an einem israelischen Checkpoint. Carlos Fraenkel sucht den philosophischen Praxistest. Die Eule der Minerva, das Wappentier der Philosophen, ist bei ihm tagaktive Taube – mittendrin statt nur dabei.

Im Gepäck lauter kritische Fragen

Wir begegnen dem Leben in seinen Schattierungen: Wir treffen eine brasilianische Philosophielehrerin, die mit ihrem Unterricht die Schüler zur Selbstermächtigung anleiten will – und damit indirekt auch einen Beitrag zur Beseitigung von Armut und Korruption leistet. Wir sind dabei, wenn Fraenkel mit Angehörigen des Mohawk Stammes redet, die mit dem Erbe des Kolonialismus und ihrer kulturellen Identität ringen. Immer dabei sind die kritischen Fragen Fraenkels – wohlwollend, aber hartnäckig.

Buchhinweis

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Carlos Fraenkel: Platon in Palästina – Vom Nutzen der Philosophie, Hanser Verlag 2016

Verschiedene Ansichten begreift Fraenkel als einen Ausgangspunkt für eine fruchtbare Debattenkultur. Dabei helfe uns die Philosophie, grundsätzliche Fragen, «die von Metaphysik und Religion bis hin zu Moral und Politik reichen» und immer wieder zu Konflikten führen, klarer zu artikulieren und die Antworten darauf genauer zu prüfen. In Anlehnung an Sokrates, den antiken Philosophen, macht sich Carlos Fraenkel stark für ein «geprüftes Leben». Es soll uns bewusst werden, dass wir uns auch irren können.

Stärkung des gegenseitigen Verständnisses

Für eine gelungene Debatte ist es unerlässlich, die eigenen Überzeugungen im Sokratischen Sinne zu hinterfragen und gegebenenfalls zur Disposition zu stellen. Es soll in erster Linie nicht darum gehen, diese aufzugeben, sondern Ansichten im Gespräch zu bestärken. Denn in der philosophisch geschulten Debattenkultur wird Einsicht höher gewichtet als der Sieg im Rededuell.

Fraenkel macht deutlich, wie relevant philosophische Praxis sein kann, um das gegenseitige Verständnis zu fördern. Denn Werte und Normen benötigen eine beständige, kritische Reflexion – auch die vermeintlich selbstverständlichen und unantastbaren. Fraenkel liefert mit seinem Werk ein engagiertes, versöhnlich gestimmtes Plädoyer für geistige Offenheit und differenzierte Wahrheitssuche.

Sendehinweis: Kontext, 28.4.2016 um 9.02 Uhr, Radio SRF 2 Kultur

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