Keine Altersgruppe wächst heute weltweit derart rasch wie jene der über 80-Jährigen. Dieser Trend zur Hochaltrigkeit hat viele Ursachen. Die wichtigsten Gründe, die uns mittlerweile ganz schön alt werden lassen, sind die verbesserte Hygiene, medizinischer Fortschritt, ausreichendes und gesundes Essen und weniger körperliche Verschleissjobs als früher.
Einfluss der Gene ist gering
Grundsätzlich müssten eigentlich alle Menschen mindestens 80 Jahre alt werden, sagt der renommierte Altersforscher Thomas Perls von der Boston University. Denn ob jemand seine 70er oder 80er Jahre erreiche, hänge zu etwa 70 Prozent von solchen Umwelt- und Lebensstil-Faktoren ab. Der Einfluss der Gene sei bis ins hohe Alter verhältnismässig gering. Entscheidend sei, wie gesund eine Person lebe, ob sie sich regelmässig bewege, keine Drogen konsumiere und Zugang habe zu einer ausgewogenen Ernährung.
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Doch je höher das Alter, desto mehr scheint der Einfluss von äusseren Faktoren auf die Lebenserwartung ab- und jener der Gene zuzunehmen. Bis sich das Verhältnis von Gen- und Umweltfaktoren im sehr hohen Alter umkehre, sagt Thomas Perls. Ob jemand das 110. Lebensjahr erreiche, sei vermutlich zu 70 Prozent von den Genen abhängig und nur noch zu 30 Prozent von Umweltfaktoren. Im Rahmen der von ihm geleiteten New England Centenarian and Supercentenarian Studie konnte Perls zeigen, dass über 105-jährige Menschen grosse genetische Ähnlichkeiten haben.
Psychische Stabilität ist lebensverlängernd
Damit stützt seine Studie eine zentrale These der Altersforschung: Je fortgeschrittener das Alter, desto eher bestimmen die Gene, ob das Leben weitergeht. Von der Vorstellung eines Methusalem-Gens hat sich die Alterforschung längst verabschiedet. Thomas Perls und sein Team vermuten, dass etwa 130 Gene in einem bisher noch weitgehend unverstandenen Zusammenspiel unsere Lebenserwartung beeinflussen.
Zumindest teilweise in den Genen angelegt dürften auch jene lebensverlängernden Faktoren sein, die Daniela Jopp von der Fordham University in New York erforscht. Sie untersucht im Rahmen der Heidelberger Hundertjährigen-Studie den Einfluss der Psyche auf das Lebensalter. Es zeigt sich, dass diese sehr alten Menschen offensichtlich ähnliche psychische Eigenschaften haben: «Wenn wir uns Hundertjährige anschauen, fällt auf, dass sie psychisch sehr stabil sind. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gross, dass die psychischen Faktoren eine grosse Rolle spielen im Leben von vielen Hundertjährigen.»
Hundertjährige sind offen und gesellig
Obwohl Hundertjährige in der Regel vier bis fünf chronische körperliche Krankheiten haben, geht es ihnen psychisch oft auffallend gut. Die meisten der Heidelberger Probanden sehen einen Sinn in ihrem Leben, sie haben einen starken Lebenswillen, sie haben noch Ziele und sie haben sich – trotz ihrer Einschränkungen – ein Gefühl von Kontrolle bewahrt, indem sie ihr Leben indirekt mit Hilfe anderer Menschen steuern. Die von Daniela Jopp und ihrem Team befragten Hundertjährigen sind in der Mehrheit äusserst offene, extravertierte Personen: «Das ist schon ganz auffällig gewesen, dass die Hundertjährigen häufig eine sehr zentrale Rolle haben, zum Beispiel im Rahmen ihrer Familien und dass sie in der Regel sehr gesellige Personen sind. So können sie z.B. auch die Interaktionen mit Pflegepersonen geniessen.»
Noch ist die zweite Heidelberger Hundertjährigen-Studie nicht vollständig ausgewertet. Doch spricht vieles dafür, dass psychische Stabilität lebensverlängernd wirkt. Aus Studien mit jüngeren Menschen ist der Einfluss der Psyche auf den Körper, auf Genesungsprozesse und das Immunsystem jedenfalls längst bekannt: Glückliche Menschen werden weniger oft krank, schneller gesund und – das lassen die jüngsten Hochaltrigkeitsstudien vermuten – sie sind nicht zufällig unter den sehr alten Menschen besonders gut vertreten.