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Wurstessen vor 500 Jahren Warum es seit Zwingli wirklich um die Wurst geht

Vor 500 Jahren assen drei Zürcher ein paar Würste. Das reichte, um die Kirche zu spalten. Zu beissen hat sie bis heute.

In der Fastenzeit öffentlich eine Wurst zu essen war vor 500 Jahren Sünde und strafbar. Als die Zürcher Wurstesser am 9. März 1522 jedoch kein Blitz vom Himmel traf, waren sie gewiss: Dieser Zwingli hat recht. Fasten sollte freiwillig sein.

Die Geschichte des Froschauer Wurstessens

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Genau 500 Jahre ist es her, dass sich vier Männer trafen, um Wurst zu essen und Weltgeschichte zu schreiben. Mit dabei: Reformator Huldrych Zwingli, sein Kollege Leo Jud, der Buchdrucker Christoph Froschauer und dessen Geselle.

Zwingli sah zu, während die anderen die Räucherwurst verspeisten. Am ersten Sonntag der Fastenzeit war Fleisch essen strikt verboten.

Das Wurstessen war somit eine absichtliche Provokation von kirchlicher und städtischer Obrigkeit. Zwingli wollte den Zürcher Rat zwingen, Stellung zu beziehen, indem er ein Streitgespräch mit einer Delegation seines Widersachers, des Bischofs von Konstanz provozierte.

Und das gelang: Im Januar 1523 stellte sich der Zürcher Rat auf seine Seite und verhalf der Zürcher Reformation zum Durchbruch.

Würste für die Freiheit

Den Zürcher Bürgern und reformatorischen Theologen ging es vor 500 Jahren um die Freiheit. Diese Freiheit halten die Reformierten bis heute sehr hoch. Mit der Freiheit für Andersdenkende war es indes nicht weit her.

Als erste erlitten die bibeltreuen Täufer das Martyrium. Über Jahrhunderte hinweg wurden sie von Reformierten und Katholiken verfolgt, getötet, deportiert oder ins Exil getrieben. Auch dem gedenken die Kirchen 500 Jahre später.

Wer sind die Täufer?

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Die radikalreformatorische Täuferbewegung entstand im 16. Jahrhundert in verschiedenen Teilen Europas. Von der reformierten Kirche wurden die Täufer anfangs verfolgt oder zur Assimilation gedrängt.

Ihre fünf Markenzeichen:

  • Ein radikal an der Bibel ausgerichtetes Leben
  • Erwachsenentaufe statt Taufe als Kind
  • Gewaltlosigkeit, d.h. Kriegsdienstverweigerung und aktive Friedensarbeit
  • Leben in der Glaubensgemeinschaft
  • Die Bewegung ist heute global und divers: Von den Amischen mit Pferdewagen über die afrikanische Friedensaktivistin bis zum Hamburger Universitätsprofessor ist alles dabei.

Überhaupt war der diesjährige Gottesdienst im Zürcher Grossmünster keine reformierte Jubelfeier. Dafür geben die aktuelle Weltlage ebenso wenig Anlass wie die internen Krisen der Landeskirchen.

Konflikt und Kommunikation

«Weil uns die Kirche nicht Wurst ist»: Mit diesen Worten war die ökumenische Begleittagung zum Wurst-Jubiläum überschrieben. Hier schauten die Kirchen auch weniger in die Vergangenheit als vielmehr in ihre ungewisse Zukunft.

Konstruktives dazu liefert ausgerechnet die Minderheitskirche der Schweizer Mennoniten. Diese Täuferbewegung hat eine Friedenstheologie entwickelt. Dazu gehören Konzepte gewaltfreier Kommunikation, Konsensfindung und Konfliktlösung.

Das können die Kirchen in ihren Veränderungsprozessen ebenso brauchen wie die politische Welt da draussen. Eine Welt, in der Militarisierung wieder als Mittel der Wahl erscheint.

Wurst ohne Fleisch

Die Fleischwürste erhielten beim Wurst-Apéro vor dem Grossmünster deutlich grösseren Zuspruch als die wenigen vegetarischen Würste. Die wirkten ein wenig, als habe man sie noch rasch auf den Grill geworfen.

Menschen kaufen Wurst vom Grill am Platz vorm Grossmünster in Zürich.
Legende: Auch dieses Jahr fand das Wurstessen in Zürich statt – am ersten Sonntag der Fastenzeit. Anders als noch vor 500 Jahren wurden 2022 auch vegetarische Alternativen angeboten. Urs Bosshard

Ohne diese Vegi-Alternative hätte es wohl aber einen neuen Wurst-Skandal gegeben. Fleisch wird heute als Klimakiller geächtet. Ohne Vegi-Wurst hätten sich die Kirchen den Vorwurf von Doppelmoral gefallen lassen müssen.

Schliesslich predigen die kirchlichen Hilfswerke seit Jahren, dass alle ihren Fleischkonsum der Umwelt zuliebe drastisch reduzieren sollen. Den CO2-Ausstoss hatten die Reformatoren damals nicht auf ihrer Menükarte. Heute ist das anders.

Gemeinsam zu Tisch

Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung: Diese drei Werte bestimmen seit Jahrzehnten das Zusammenwirken der Kirchen weltweit. Diese Ökumene demonstrierten sie nun auch am Gedenkgottesdienst für das historische Zürcher Wurstessen im Grossmünster.

500 Jahre nach der Spaltung predigten, beteten und assen hier Reformierte gemeinsam mit Täufern und römisch-katholischen Gläubigen.

Das Fest des Religionsfriedens in der Schweiz wird nun überschattet vom Krieg Russlands gegen die Ukraine. Und so ging die Kollekte des Gottesdienstes zusammen mit Fürbitten in die Ukraine.

Die Kirchen erinnern sich daran, wie lange sie selbst im Krieg miteinander waren. Es sei ein Wunder, dass man sich heute so geschwisterlich in den Armen liegen könne. Dass man den einen ihre Wurst und den anderen ihr Fasten lassen könne.

Aber dieses Wunder brauchte viel Zeit und Arbeit. Und diese Arbeit müsse nun weitergehen: für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

Radio SRF 2 Kultur, 100 Sekunden Wissen, 09.03.2022, 6:54 Uhr

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