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Gesellschaft & Religion Wut und Wirkung: zehn Jahre nach dem «städtebaulichen Portrait»

Als die Professoren des ETH-Studios Basel die Schweiz in fünf Zonen einteilten, war die Wut der Bergler gross. Sie erhielten den Stempel «alpine Brache». In Basel, Zürich und im Raum Lausanne/Genf war man stolz auf das Label «Metropolitanregion». Aber sie könnten die Problemzonen von morgen sein.

Mit einer grossen, gescheckten Karte sorgte das ETH Studio Basel 2005 für Aufregung. Die ETH-Professoren Jacques Herzog und Pierre de Meuron, Marcel Meili, Roger Diener und Christian Schmid hatten gemeinsam mit Assistenten und Studierenden die Schweiz gründlich erforscht und kamen zu zwei Erkenntnissen. Die Schweiz ist erstens vollkommen verstädtert; das ländliche Bild ist längst zum Mythos geworden. Und zweitens greift es zu kurz, die Schweiz anhand der 26 Kantone geschweige denn der 2768 Gemeinden abbilden zu wollen.

Eine grosse Diskussion über die Zukunft der Schweiz

Städtebauliche Karte der Westschweiz mit dem Ballungszentrum Bern.
Legende: Starke Vernetzung im Bernbiet: «Die Schweiz - Ein städtebauliches Portrait». ETH Studio Basel

Grosszügig und mit groben Strichen teilte das ETH Studio Basel die Schweiz ein in fünf urbane Zonen: die kraftstrotzenden «Metropolitanregionen», die blühenden Städtenetze, die bedrohten stillen Zonen, die ambivalenten alpinen Ressorts und die «alpine Brache», das Sorgenkind.

«Zum Glück waren die ETH-Professoren damals so radikal. Mit feinem Farbstift und millimetergenau angepassten Umgrenzungen hätten sie gar nichts bewirkt», sagt Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE). Und die ARE-Direktorin ist überzeugt, dass dank der Zuspitzungen im «städtebaulichen Portrait» endlich eine grosse Diskussion über die Zukunft der Schweiz stattfand.

Interessant ist auf jeden Fall, dass sich 2005 auch das ARE und die liberale Denkfabrik «Avenir Suisse» in zwei Publikationen mit der räumlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Schweiz beschäftigten. Diese Publikationen gingen aber gänzlich unter.

Champions League statt regionale Einzigartigkeit

Im ARE studierte man das Buch «Die Schweiz – ein städtebauliches Portrait» vor- und rückwärts. Man diskutierte mit den Professoren im ETH Studio Basel, man verliess die Amtsstube und setzte sich mit kantonalen und städtischen Planern an einen Tisch. Es entstanden regionale Foren. Sie hatten die Aufgabe, die räumlichen Einzigartigkeiten ihrer Region herauszuarbeiten.

Das sei gar nicht so einfach gewesen, erinnert sich Maria Lezzi. Viele hätten wie im Fussball in Ligen gedacht und nicht erkannt, dass es um Differenz gegangen sei. Alle wollten wie Zürich sein und in der Champions League mitspielen. Das «Raumkonzept Schweiz», das 2012 schliesslich verabschiedet wurde, erinnert sehr stark an das «städtebauliche Portrait».

Wie das Portrait nachwirkt

Die Schweiz in Zonen

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  • 3 «Metropolitanregionen»: Basel, Zürich und Genf.
  • 6 «Städtenetze»: Städtekranz Bern, Bandstadt Wallis, Aarau-Olten, Zentralschweiz, Rete Urbana dei Laghi und die Region Bodensee.
  • 3 «stille Zonen»: landwirtschaftliche Restflächen im Gros-de-Vaud, Napfgebiet und Appenzell-Toggenburg.
  • 55 «alpine Resorts»: temporäre Flächenstädte der Tourismusindustrie.

Christian Schmid, ETH-Soziologe und Mitautor des städtebaulichen Portraits, ist durchaus stolz, dass die Ideen und Analysen des vieldiskutierten Portraits ins Raumkonzept Schweiz aufgenommen wurden. Dass er noch häufig vorgestellt wird als «Mitautor, der den Begriff ‹alpine Brache› in die Welt gesetzt habe», quittiert Schmid mit einem Lachen: «Offenbar haben wir damals den Nerv der Zeit getroffen!»

Schmid ist überzeugt, dass das städtebauliche Portrait nachwirkt. Er denkt an die Einrichtung von Pärken von nationaler Bedeutung, die strukturschwachen Berg-Regionen auf die Beine helfen können. Er denkt auch an die Idee, die Idee des städtebaulichen Portraits global anzuwenden.

Eine neue Farbe für verödete Innnenstädte?

Vor 10 Jahren haben die Professoren des ETH Studios Basel die «alpine Brache» als Problemzone hervorgehoben. Mit Sorge blickt Christian Schmid heute auf die Entwicklungen in den «Metropolitanregionen».

Die Lebendigkeit der Innenstädte sieht er bedroht. Die Innenstädte würden mehr und mehr zu Luxuskonsum-Räumen: «In zehn Jahren müssen wir dann vielleicht eine neue Farbe haben für verödete Innenstädte.»

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