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Zum 100. Geburtstag Wie Beate Uhse die Erotik zum grossen Geschäft machte

Von der Aufklärerin zur kühlen Geschäftsfrau: Beate Uhse startete einen zaghaften Postversand – und schuf ein Erotik-Imperium.

Als Beate Uhse im Mai 1999 das Parkett der Frankfurter Börse zusammen mit aufreizend rot bekleideten Damen betrat, hatte die Firma Beate Uhse ihre besten Zeiten längst hinter sich. Mit dem Börsengang ihres berühmten Erotikunternehmens setzte sie einen letzten Paukenschlag.

Am 25. Oktober wäre Beate Uhse 100 Jahre alt geworden. Ihr Leben als Pilotin und Erotikkauffrau glich einer fulminanten Achterbahnfahrt durch die zunächst noch prüden Wirtschaftswunderjahre. Beate Uhse machte den Sex salonfähig und wirbelte kräftig mit bei der sexuellen Revolution, von der sie durchaus profitierte.

Beate Uhse mit zwei weiblichen Models an ihrer Seiten
Legende: Beate Uhse (Mitte) mit zwei Models beim Börsengang ihrer Firma im Mai 1999. Reuters / Kai Pfaffenbach

«Schrift X»

Die Geschichte der Beate Uhse und ihrer Firma begann kurz vor Kriegsende. Im April 1945 flüchtete sie tollkühn mit ihrem Baby aus dem von sowjetischen Truppen belagerten Berlin. In einer Sportmaschine gelangte die Wehrmachtspilotin nach Norddeutschland.

Als die geflüchtete Mutter und Kriegswitwe in Schleswig-Holstein aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, stand sie vor dem Nichts. So zog sie über die Dörfer, verkaufte Horoskope und gab Nachhilfeunterricht in Sachen Empfängnisverhütung.

Aus der Aufklärungsarbeit wurde eine Geschäftsidee, die mit der «Schrift X» ihren Anfang nahm – ein legendäres, wenige Seiten umfassendes A6-Heft für zwei Mark. Noch etwas verschroben und wenig aufreizend stiess die Broschüre in erotische Gefilde vor.

In einer der Schriften liest man: «Würden wir triebgemäss zeugen, wäre es heute keinem Elternpaar möglich, ihren Kindern ein anständiges, menschenwürdiges Leben und eine entsprechende Erziehung zukommen zu lassen. Es entsteht daher für uns die soziale Pflicht, die Befriedigung des Sexualtriebes von der Zeugung scharf zu trennen.»

Sexversand im Handelsregister

Am 20. Februar 1951 wird das Versandhaus «Beate» im Flensburger Handelsregister eingetragen. Es ist das erste legale Erotikunternehmen überhaupt. Anfangs noch zaghaft mit Kondomen, Liebespräparaten und erotischen Schriften, startete Beate Uhse ihre merkantile Lust-Offensive.

Beate Uhse vor ihrem Versandhaus in Flensburg, 1971.
Legende: Beate Uhse vor ihrem Versandhaus in Flensburg, 1971. Getty Images / ullstein bild

Bereits 1957 standen schon rund acht Millionen Westdeutsche auf Versandlisten von Firmen, die Produkte aus dem Bereich «Ehehygiene» anboten – so hiessen seinerzeit Artikel aus dem Erotikbereich.

Beate Uhse verstand sich damals als Pionierin in Sachen Sex. «Ich habe mir in den ersten Jahren niemals vorstellen können, dass das Interesse der Menschen an diesen Dingen auf die Dauer so gross sein wird», erinnert sie sich in einem Radiointerview.

«Ich hielt es zunächst einmal für einen Nachholbedarf nach diesen schlimmen Kriegsjahren und den Nachkriegsjahren, und war dann ganz überrascht, wie stark doch das Interesse der Menschen an Sex und Erotik ist.»

Erster Sexshop der Welt

Als Beate Uhse kurz vor Weihnachten 1962 im norddeutschen Flensburg den ersten Sexshop der Welt, ein «Fachgeschäft für Ehehygiene», eröffnete, kam das einer Revolution gleich. Auch wenn das Ladengeschäft wie eine Leihbücherei aussah, war der Skandal perfekt.

Sex gehörte nicht in die Öffentlichkeit und wurde unter den Argusaugen der Staatsanwaltschaft streng reglementiert. Unzählige Male wurde Beate Uhse vor Gericht zitiert. Immer dann, wenn die Staatsanwaltschaft etwas «Unzüchtiges» in ihrem Versandangebot entdeckte.

Beate Uhse vor Gericht

Ihre Auseinandersetzungen mit der Staatsanwaltschaft sind legendär. Unzählige Male wurden ihr Delikte wegen Beihilfe zur Unzucht zur Last gelegt. Dabei ging es nicht um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, sondern um den geschäftsmässigen Umgang mit «aufreizenden Verhütungsmitteln».

Die Verwendung von Kondomen, so grotesk das heute klingen mag, war bis in die 1970er-Jahre ein Straftatbestand in Deutschland. Alles, was das sexuelle Schamgefühl verletzt und der Reizung oder Befriedigung des Geschlechtstriebes dienen soll, galt als rechtswidrig. Spezial-Kondome mit Noppen zum Beispiel wurden als unzüchtig klassifiziert und durften nur an Ehepaare abgegeben werden.

Frau in buntem Gilet vor einem Regal in einem Sexshop
Legende: Beate Uhse stiess mit ihrem Versand auf viele Widerstände – und musste regelmässig vor Gericht erscheinen. picture-alliance/dpa/ Kay Nietfeld

Beate Uhses anfängliche «Kondom-Delikte» gingen durch die Boulevard-Presse. Regelmässig musste Beate Uhse vor Gericht erscheinen. Dabei sei es am Anfang eigentlich nur um Produkte gegangen, erinnert sie sich im Radiointerview: «Sie durften gewisse Produkte, Verhütungsmittel zum Beispiel, nur an Verheiratete verkaufen. Das heisst, sie mussten nachweisen, dass die Leute, an die sie geliefert hatten, verheiratet waren.»

Beginn der Sex-Welle

Irgendwann wurde aus dem zaghaften Postversand mehr. Kondome, Cremes, Reizwäsche: Das Erotik-Kabinett der Beate Uhse füllte sich, das Imperium wuchs zu einem lukrativen Geschäft, das munter auf der Sex-Welle surfte, den Porno-Markt später auch mit Filmen, Heften und Sexpuppen bereicherte.

Beate Uhses Aufklärungs-Idee wandelte sich zum Erotikkonzern, der die massgeblich männliche Kundschaft zufriedenstellen sollte. Der Nimbus der Aufklärerin wich dem der kühlen Geschäftsfrau.

Beate-Uhse-Geschaft von aussen
Legende: «Anregungsmittel» und «Geburtenregelung»: Laden von Beate Uhse in Hamburg, 1970. Keystone / INTERFOTO / Friedrich

Das Sex-Business stiess moralisch immer noch auf Widerstände, aber über die Jahre wurde es langsam legal und liess bei manchen Printmedien die Auflagen hochschnellen: Sex war chic, darüber zu reden wurde alltäglich.

«In den 1960er-Jahren gab es die Sex-Welle», sagt Katrin Rönicke, Autorin einer Biografie über Beate Uhse. «Die kam nicht von Beate Uhse, sondern vielmehr noch von Illustrierten und Zeitschriften mit halbnackten Frauen, die an jedem Kiosk zu kaufen waren. Aber Beate Uhse war natürlich genau die Richtige, um diese Sex-Welle zu reiten und zu unterstützen, dass die Menschen sich freier, lockerer machen, und über Sexualität reden.»

Im Fadenkreuz des Feminismus

Dann kam «Emma». Der deutsche Feminismus sah die sexuelle Revolution mit deutlich anderen Augen. So erschien in der feministischen Zeitschrift von Alice Schwarzer 1988 ein gepfefferter Artikel über Beate Uhse.

Darin hiess es: «Mit 25 fliegt sie Stukas [Kampfflugzeuge] an die Front. Für Hitlers Luftwaffe. Mit 69 verkauft sie Frauen. Für 90 Millionen im Jahr.»

Beate Uhse hat diese Kritik nie recht verstanden und immer auf ihre Rolle als Kämpferin für die Enttabuisierung der Erotik hingewiesen. Sie habe, so merkte sie trocken an, das geliefert, was die Kundschaft wünschte.

Vom Sexshop zur Erotik-Boutique

Aus der radikalen Anti-Porno-Kampagne der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hat sich seither ein neues erotisches Selbstbewusstsein herauskristallisiert: Porno ist nicht unbedingt schlecht, er muss aber weiblich sein, ganz weit weg von der Welt der Beate Uhse.

Neben den Erotik-Kaufhäusern gibt es heute vermehrt kleinere Läden, die sich auf gezielt weibliche Bedürfnisse spezialisiert haben. Mit gesteigertem ökologischem Bewusstsein wird darauf geachtet, dass die Erotikprodukte jetzt auch nachhaltig produziert sind. Schnödes Gummi weicht Natur-Latex, der Vibrator wird zum ansprechenden Designobjekt.

Sex in der Mitte der Gesellschaft

Schöne neue Erotikwelt? Beate Uhses erotisches Geschäftsmodell war sicher mehr ein evolutionärer und weniger revolutionärer Mosaikstein in der Liberalisierung der Sexualität in Deutschland und Europa.

Ihr zäher Kampf für die Enttabuisierung kam zur rechten Zeit: Der Kinsey-Report über das menschliche Sexualverhalten aus den USA, der deutsche Aufklärer Oswald Kolle und der kommerzielle Schwung der Beate Uhse rückten den Sex in den Mittelpunkt der Gesellschaft.

Ladenauslage mit einer Schachtel mit Reizwäsche
Legende: Sexy Times: Von Reizwäsche über Kondome bis Sexspielzeuge gab es bei Beate Uhse alles zu kaufen. Keystone / AP Photo / Christof Stache

Das Rad liess sich gesellschaftlich nicht mehr zurückdrehen, wie Sibylle Steinbacher in ihrer Kulturgeschichte «Wie der Sex nach Deutschland kam» resümiert: «Sexualität als Wesenselement des sogenannten modernen Lebens war gewissermassen im Zentrum der Bundesrepublik angekommen.»

Sex wurde nun zu einem Lebensstil, der nicht mehr von staatlichen und kirchlichen Instanzen reguliert wurde. Somit emanzipierte der Sex sich vollends zur Privatsache und Begriffe wie «Unzucht» oder «Sittlichkeit» gehörten der Vergangenheit an.

Beate Uhse museal

Beate Uhse starb 2001 in St. Gallen an einer Lungenentzündung. Heute steckt ihr Unternehmen in der Krise, stolpert seit Jahren von Insolvenz zu Insolvenz.

Die Beate Uhse AG heisst nun «BU» und wird als Erotik-Abwicklungsgesellschaft weitergeführt – mit ungewisser Zukunft. In der Schweiz firmieren die Shops unter «Magic X». Das einstige Erotik-Imperium der Beate Uhse ist faktisch nur noch einer von vielen Playern im europäischen Erotikgeschäft und längst kein Branchenführer mehr.

Bis zum Jahr 2014 konnte die schrill-bunte Sexwelt der Beate Uhse noch im Berliner Erotikmuseum, einem umgebauten Sexshop, besichtigt werden. In der Hamburger Forschungsstelle für Zeitgeschichte lagert Beate Uhses schriftlicher Nachlass.

Hier finden sich viele Briefe, Notate und Bemerkungen, die einmal mehr zeigen, dass die berühmte «Tante Sex» der Nachkriegsjahre eine ganz normale Geschäftsfrau war, die Sex geschäfts- und gesellschaftsfähig machte.

Ihr glasklares Lebensmotto bilanzierte sie in einem ihrer letzten Interviews: «Ich bin absolut normal. Das ist auch der Grund meines Erfolges. Was mir Spass macht, gefällt auch anderen. Danach habe ich meine Firma aufgezogen.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 17.10.2019, 08.20 Uhr.

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