Diese Heiterkeit, trotz all der durchlebten Katastrophen, das fällt rasch auf, wenn man sich TV-Interviews mit der wichtigsten Philosophin des 20. Jahrhunderts anschaut: Hannah Arendt. Vor 50 Jahren ist sie gestorben, Ihre Gedanken und Analysen aber hinterliess sie uns – zum Glück.
Ihre Schriften lesen sich wie eine Chronik der Abgründe des 20. Jahrhunderts – und zugleich wie Kommentare zu den Krisen unserer Zeit. Nach Trumps Wahl 2016 stiegen die Verkäufe ihres Werkes «Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft» um über tausend Prozent. Die Menschen suchten Orientierung – und fanden sie bei Arendt.
Die Banalität des Bösen
Berühmt und umstritten wurde Arendt durch ihren Bericht über den Prozess gegen Adolf Eichmann, jenen NS-Funktionär, der die Deportation der europäischen Jüdinnen und Juden organisierte. Arendt beschreibt ihn nicht als Dämon, sondern als pflichtbeflissenen Bürokraten und nennt ihn gar einen «Hanswurst», der intellektuell nicht auf der Höhe seiner Taten war.
Seine Verbrechen, so ihre These, erwuchsen aus blindem Gehorsam: Im gedankenlosen Verwaltungsmassenmord zeige sich das eigentlich Böse. Daraus entstand das Schlagwort der «Banalität des Bösen», das man Arendt lange übelnahm – aus Sorge, sie könne damit das Böse verharmlosen, was keineswegs ihre Absicht war.
Flucht vor dem Nationalsozialismus
Hannah Arendt wurde nahe der russischen Grenze, in Königsberg – heute Kaliningrad – geboren, verlor früh ihren Vater und Grossvater, wuchs in einem Frauenhaushalt auf und wusste schon als Teenager, dass die Philosophie ihr wahres Zuhause ist. Immerhin las sie 14-Jährig schon Kant, der im Gegensatz zu ihr sein ganzes Leben in Königsberg zubrachte.
Arendt selbst floh 1933 als deutsche Jüdin vor den Nationalsozialisten. 1941 begann sie in den USA ein neues Leben. Sie widmete sich der Suche nach Wahrheit und Freiheit, bestand auf intellektueller Beweglichkeit und konsequenter Ideologiekritik. «Denken ohne Geländer» nannte sie das.
Für Arendt ist Denken ein innerer Dialog, der erst im Austausch mit anderen Gestalt gewinnt. Freundschaft war deshalb zentral: Mit Philosophen wie Walter Benjamin, Karl Jaspers, Hans Jonas oder der Schriftstellerin Mary McCarthy bildete sie ein enges Netzwerk intellektueller Beziehungen. In solchen Freundschaften wird Gesellschaft im Kleinen erprobt – Konflikte werden ausgehalten, Urteile geschärft, Pluralität gelebt – deshalb sind sie für Arendt eine politische Tugend.
Privater Schutzraum
Ein zentrales Anliegen ist Arendt auch die Trennung von Privatem und Öffentlichem. Das Private ist für sie der Raum von Intimität und Verwundbarkeit – ein Raum, den totalitäre Regime mit Verfolgung und Überwachung zu zerstören trachten. Das Politische hingegen beginnt dort, wo Menschen als Gleiche in Erscheinung treten, um über gemeinsame Angelegenheiten zu streiten und das Ich für einen Moment zurückstellen können. Für Arendt ist das eine Erfahrung höchster Freiheit.
In einer Zeit, in der autoritäre Bewegungen wieder erstarken, klingt ihr Appell aktueller denn je: Freiheit braucht Menschen, die denken, urteilen – und gemeinsam handeln.