- Im Buch «Ist der Islam noch zu retten?» streiten sich zwei muslimische Theoretiker über die Frage, welche Reformen der Islam braucht – und welche er verträgt.
- Ihre Debatte gliedern sie in 95 Thesen. Sie streifen Themen wie Frauenrechte, Gewalt und Scharia.
- Einig sind sich beide in dem Punkt, dass Passagen aus dem Koran im historischen Kontext interpretiert werden müssen.
Ist der Islam reformierbar? Ja, sagt Mouhanad Korchide. Hamed Abdel-Samad widerspricht: «Der Islam ist immun gegen Reformversuche.» Diese zwei unterschiedlichen Sichtweisen treffen im Buch «Ist der Islam noch zu retten?» aufeinander.
Der deutsch-ägyptische Politologe und Publizist Abdel-Samad ist im deutschsprachigen Raum für seine scharfe Kritik am Islam bekannt – währenddem engagiert sich der österreichische Islamwissenschaftler Khorchide für einen Islam der Barmherzigkeit (siehe Textboxen).
Luther als Vorbild
Ihr gemeinsames Buch lehnt sich an Martin Luthers Thesenanschlag an, der vor 500 Jahren zur Reformation führte. Deshalb der Untertitel: «Eine Streitschrift in 95 Thesen».
Die beiden Autoren formulieren abwechselnd Thesen zu verschiedenen Leitfragen, und erläutern diese in kurzen und verständlichen Texten. Sie thematisieren etwa den Koran, Gewalt, die Scharia und das Frauenbild im Islam.
Die Auslegung des Korans
In vielen Punkten vertreten die beiden unterschiedliche Standpunkte. Doch es gibt auch Themen, bei denen sie einer Meinung sind.
Etwa, was den Koran angeht: Der müsse immer wieder von Neuem in einem historischen Kontext ausgelegt werden, betonen beide. Oder was die Bedeutung von Bildung betrifft, um den Islam zu reformieren. Zudem sei die Scharia ein menschliches Konstrukt, sind sich beide einig.
Frauen und Nichtmuslime
Verschiedene Auffassungen haben sie aber über die Frage der Vereinbarkeit von Scharia und Demokratie – unvereinbar findet sie Abdel-Samad.
Denn das Grundgesetz in Deutschland verlange die Gleichheit aller Menschen. Die Scharia aber werte Frauen und Nichtmuslime gegenüber muslimischen Männern als nicht gleichwertig.
«Säkularismus schützt»
Anders sieht das Khorchide. Islamisches Recht und Demokratie seien vereinbar, weil sich der Islam in einem ständigen Erneuerungsprozess befinde. «Säkularismus bedeutet nicht die Verbannung der Religion, sondern schützt die Religion von politischer Einflussnahme», schreibt Khorchide.
Deshalb müssen sich auch im Islam Religion und Politik voneinander trennen, um die Religion vor den politischen Machtansprüchen herrschender Regimes zu bewahren.
Den einen Islam gibt es nicht
Die Beispiele der Autoren reichen bis in die Gegenwart. Etwa diskutieren sie den Ursprung des Sunna-Schia-Konfliktes und welche Rolle er heute in der islamischen Welt spielt. Reformen im Islam seien nur möglich, wenn der Hass zwischen Sunniten und Schiiten überwunden wird, findet Khorchide.
Die Streitschrift macht klar: Den einen Islam gibt es nicht. Zu verschieden sind gewisse Ansichten. Zudem zeigt das Buch auf, wie schwierig es ist, wenn Koranpassagen als Argumente benutzt werden.
Bei diesem Thema erreicht die Streitschrift ihren Höhepunkt. Denn Khorchide wirft Abdel-Samad vor, den Koran – gleich wie Fundamentalisten – buchstabengetreu zu lesen. Er suche passende Verse zu seiner Argumentation. So würden viele Koranpassagen ignoriert, die sich anders zu bestimmten Themen äusserten, sagt Khorchide.
Abdel-Samads Kritik an Khorchide: Auch er wähle Koranpassagen selektiv für seine Argumente.
Als gutes Beispiel voran
Die Frage, die sich der Leser immer wieder stellt: Welcher der beiden hat nun Recht? Eine Frage, die nirgends im Buch aufgelöst wird. Das zeigt einmal mehr, wie kontrovers und komplex die Debatte um den Islam ist.
Vor allem aber veranschaulicht das Buch, wie zwei Muslime sich kritisch über den Islam streiten – ohne den anderen gleich als Ungläubigen oder Abtrünnigen abzustempeln.