In Margarete Heids Kosmetiksalon klingelt alle paar Minuten die Glocke über der Tür. Ihr Geschäft mit der Haarentfernung läuft wie geschmiert: «Wenn man 23 Jahre mit mehr als zehn Kundinnen am Tag übt, wird man die Wax-Queen!» So werde sie von ihrer Zürcher Kundschaft liebevoll genannt.
Intimzone, Achselhöhlen, Unterschenkel, aber auch ausgefallenere Körperstellen entfernt Heid hier mittels Wachs oder Lasertechnik: «Manchmal muss ich selber lachen, wenn die Leute zum Beispiel ihre Ohrmuscheln enthaart haben wollen», so Margarete Heid. «Aber wir haben die Möglichkeiten. Warum also nicht?»
Zwischen Kult und Tabu
Es ist ein Querschnitt der Gesellschaft, der Heids Kosmetikstudio aufsucht. Und ihre Klientel wächst, obwohl die Prozedur je nach Körperstelle sehr schmerzhaft sein kann. «Zwei Drittel sind Frauen. Seit einigen Jahren kommen auch immer mehr Männer, allerdings nur heimlich.» Unter ihnen, so Heid, sei das Waxen noch tabu – besonders im Intimbereich.
Immer mehr Männer lassen sich waxen – aber sie machen es heimlich.
Für Frauen gelte heute das Umgekehrte: Ein enthaarter Intimbereich sei Standard. Früher, Mitte der 1990er-Jahre, sei die Welt der Haarentfernung noch eine andere gewesen. Damals – Margarete Heid war noch nicht lange aus Brasilien in die Schweiz eingewandert – war sie in einem Kosmetikstudio angestellt.
Bot sie ihren Kundinnen Bikini-Waxing an, reagierten diese schockiert. «Meine Chefin wies mich damals zurecht: ‹Bitte nicht! Die Schweizerinnen wollen das nicht.›» Heute gehöre Bikini-Waxing zum meistgenutzten Angebot in ihrem Studio.
Eine Zeitreise entlang des Körperhaars
Der gesellschaftliche Umgang mit Körperhaar sei einem starken Wandel unterzogen, bestätigt die Historikerin Roberta Spano. Schon seit jeher – nicht erst seit den 1990er-Jahren.
- Schon vor 4000 Jahren, in der altägyptischen Hochkultur, wurden enthaarte weibliche Genitalien bildlich dargestellt. In Gräbern aus dieser Zeit fand man geschliffene Muscheln und Harz, welche beim Enthaaren angewendet wurden.
- Um 1450 wurden in Europa sogenannte Schamhaarperücken erfunden. Getragen wurden diese insbesondere von prostituierten Frauen, welche im Intimbereich unter Lausbefall litten und sich deshalb komplett enthaaren mussten. Um ihre «Scham» zu bedecken, griffen sie zur Perücke. Die Vermutung liegt nahe, dass damals ein behaarter Intimbereich als hygienisch und gesund galt, wohingegen Enthaarung auf eine Krankheit hindeuten konnte.
- In der islamischen Kultur gehört die Entfernung von Körperhaar zu den religiösen Reinlichkeitspflichten – für beide biologische Geschlechter.
- Im Europa des 18. Jahrhundert galt der enthaarte Intimbereich der Frau für Jungfräulichkeit, Jugendlichkeit und Hingabebereitschaft.
- Im 19. Jahrhundert äusserte sich der Evolutionstheoretiker Charles Darwin zum Körperhaar. Seiner Auffassung nach würden wenig behaarte Frauen von der Evolution bevorzugt. Eine These, die rassistisch ist, da Körperhaar von schwarzen Menschen dicker und dichter sein kann als das von weissen Menschen.
Ordnung zwischen den Geschlechtern
Spannend am Körperhaar sei, sagt die Historikerin Roberta Spano, dass es durch viele Gegensätze geprägt sei. «Körperhaare definieren heute wie gestern, was als normal gilt, was gesund ist – und Körperhaare definieren Geschlechtlichkeit.»
Körperhaare definieren Grenzen – und Grenzüberschreitungen
Ein Augenschein im Freibad bestätigt: Cis-Frauen scheinen sich kategorisch zu enthaaren, spätestens in den warmen Monaten. Ein grosser Motivator: Enthaart fühlten sie sich reiner, hygienischer, und die Haut fühle sich weicher an. Frauen mit behaarten Beinen beispielsweise seien die absolute Ausnahme und würden auffallen.
Die Umfrage unter Cis-Männern hingegen ergibt ein heterogenes Bild: Gewisse Männer sind stark behaart und verzichten ganz auf Enthaarung. Andere enthaaren Achseln und Intimbereich komplett. Wieder andere geben an, nur gelegentlich – je nach Lust und Zeit – Körperhaare zu entfernen.
Bei Behaarung Bestrafung
«Zwar entfernen immer mehr Männer ihr Körperhaar.» Historikerin Roberta Spano teilt die Beobachtung der Kosmetikerin Margarete Heid. «Beim Mann bleibt dies aber eine Möglichkeit. Bei Frauen entspricht Enthaarung eher einer Erwartung – oder sogar einem Zwang.» Frauen, die sich nicht enthaaren, würden sanktioniert: mit Blicken, Kommentaren oder Schlimmerem.
Dies untermauert der Fall der schwedischen Künstlerin Arvida Byström. Vor einigen Jahren lancierte eine bekannte Sportartikelmarke mit ihr eine Werbekampagne. Byström wurde im rosaroten Spitzenkleid abgelichtet, mit Turnschuhen und behaartem Schienbein. Die Kampagne provozierte derart, dass im Netz ein Shitstorm gegen sie als Person losgetreten wurde. Ihre Postfächer wurden geflutet mit Hasskommentaren, Gewalt- und Vergewaltigungsandrohungen.
Ein behaartes Frauenbein wird bestraft – mit Blicken und Kommentaren. Ziel dabei ist, dass dieser Körper sich wieder der binären Geschlechterordnung unterwirft.
Vertreterinnen von PoC-Communitys und antirassistische Aktivisten berichten von einem noch stärkeren Druck, dem enthaarten Schönheitsideal zu entsprechen, um gesellschaftlich nicht noch stärker sanktioniert zu werden.
«Körperhaar erlaubt es in unserer Gesellschaft zu sagen, welche Körper weiblich und welche männlich sind. So wird ein binäres, patriarchales Ordnungssystem aufrechterhalten», führt Spano aus.
Wenn sich ein Körper diesem Ordnungssystem nicht füge – beispielsweise ein weibliches, behaartes Bein – werde das als Störung der Ordnung wahrgenommen. «Das heisst, der Körper wird bestraft – mit Blicken und Kommentaren. Das ist eklig, unhygienisch, das ist unweiblich. Mit dem Ziel, dass sich der Körper wieder dieser Ordnung unterwirft.»
Geruch und Bakterien: Das Hygiene-Argument
Sowohl im Kosmetikstudio als auch im Freibad: Hygiene spielt als Motivation für die Haarentfernung eine grosse Rolle. Das Argument wiegt den aufwendigen, kostspieligen und teils schmerzhaften Körperkult meist auf. Wie viel ist denn dran am Hygiene-Argument?
Ein behaarter Körper ist nicht unhygienischer als ein enthaarter. Die Patienten nehmen das nur so wahr.
«Wenn man sich regelmässig duscht und pflegt, ist man hygienisch – ganz unabhängig von der Behaarung», klärt die Hautärztin Sabine Kurzidem. Bei Achsel- und Intimbehaarung könne es allerdings sein, dass Feuchtigkeit im Haar und somit ein unangenehmer Geruch am Körper hängen bleibe. Das sei aber nicht per se unhygienisch – schon gar nicht an den Beinen.
Klimaanlage und Schutzfunktion
Körperhaare hätten im Gegenteil ursprünglich eine Schutzfunktion vor Bakterien und Parasiten. Besonders wichtig seien sie im Intimbereich und in der Achsel, weil die Haut da so dünn und sensibel sei.
- Augenbrauen fangen Schweisstropfen von der Stirn auf, damit sie nicht in die Augen laufen.
- Körpereigene Klimaanlage: Jedes Haar wächst aus einem Grübchen, dem sogenannten Haarfollikel. Dieses umschliesst eine Muskulatur, der sich bei Kälte zusammenziehen und bei Wärme ausdehnen kann. So arbeitet das Follikel bei der Regulierung der Körpertemperatur mit.
- Vorsicht bei der Enthaarung! Beim Waxen, Epilieren und Rasieren können diese Follikel verletzt werden und sich entzünden. Wichtig sei bei der Rasur deshalb, die Klinge immer wieder zu schleifen oder auszuwechseln. Ausserdem soll man Rasierschaum ohne Duft- und Konservierungsstoffe verwenden.