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Junge Frau dunkler Hautfarbe und Afro vor orangem Hintergrund, lehnt nach rechts, eine Strähne in der Hand.
Legende: Lila Iké outet sich und erntet vor allem Beifall. RCA Records / Lila Iké

Homophobie im Reggae «Ich stehe auf Frauen und mache Reggae-Musik»

Von wegen «One Love»: Homophobie ist im jamaikanischen Reggae und Dancehall weit verbreitet. Jetzt scheint sich die Szene zu öffnen.

«I am Lila Iké – I am into Women and I’ve been making Reggae Music»: In einem Tweet vom November 2021 outete sich die aufstrebende jamaikanische Sängerin als lesbisch. Ein Wendepunkt? Der Twitter-Post könnte dazu beitragen, die Reggae- und Dancehallszene von ihrer Homophobie zu befreien.

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Lila Iké ist 28 Jahre alt und kommt aus Manchester, Jamaika. Spätestens seit ihrem Debütalbum «The ExPerience» gehört sie zu den verheissungsvollsten Stimmen des Reggaes.

Dank energiegeladenen Liveshows und der Verbindung der Musik-Wurzeln mit Neuem stieg sie in den letzten vier Jahren vom Geheimtipp zur erfolgreichen Newcomerin auf. Ob Reggae-Medium, jamaikanisches Radio oder DJ: Alle loben die Künstlerin aktuell in den höchsten Tönen.

Nichts mit «One Love»

Homophobe Texte waren im Dancehall-Genre weit verbreitet. Zwar trugen einst Bob Marley, Jimmy Cliff und Peter Tosh Reggae aus Jamaika in die Welt und standen inhaltlich für gleiche Rechte und universale Einheit.

Doch in den 1990er-Jahren fielen zahlreiche bekannte Dancehall- und Reggae-Künstler mit diskriminierenden Texten auf: Sie zerstörten damit das «One Love»-Image des Reggaes in der öffentlichen Wahrnehmung komplett.

Junge, schwarze Frau in hellem Top und schwarz-weiss-gemusterten Hosen vor blauer Blechwand.
Legende: Die Reggae-Sängerin Lila Iké outete sich per Tweet. Mit dem Outing wollte sie auch anderen zuvorkommen – bevor ihre Homosexualität gegen sie verwendet wird. SRF / Lukas Wyniger

Lila Ikés Tweet ist aber nur einer von zwei Gründen, weshalb in Jamaika in den letzten Wochen über Homophobie gesprochen wird. Auch Spice, momentan eine der erfolgreichsten Dancehall-Künstlerinnen Jamaikas, löste eine Diskussion in den sozialen Medien aus. Die Musikerin wurde an einem LGBTQ-Event in Kanada für einen Auftritt gebucht und dafür von ihren männlichen Kollegen öffentlich angefeindet.

Dunkle Frau mit knallblauen, gewellten Haaren hält ein Mikrofon, trägt schwarz-silbernes Oberteil.
Legende: Herkunft und Sexualität ihrer Fans seien Spice egal. Auch nach der Kritik stand sie hinter ihrer Zusage fürs kanadische Pride Festival. wikicommons / Dayo Kosoko

«Zieh deinen Turban aus und tanz mit mir»

Der bekannte Reggae-Sänger und Rastafari Sizzla Kalonji veröffentlichte nach Bekanntwerden des Auftritts eine Erklärung, in welcher er behauptete, Spices Zusage an diesem Event sei «gegen die Jamaikanische Kultur».

Vermutlich erhoffte sich Sizzla damit Zuspruch. Der Grossteil der Reggae und Dancehall-Fans applaudierte aber für die Dancehall-Künstlerin, welche den Angriff mit viel Wortwitz konterte: «Zieh deinen Turban aus und tanz mit mir!»

Der Tenor in Jamaika und in den sozialen Medien war danach fast überall der Gleiche: «Uns ist es egal, wo Spice ihr Geld verdient und mit wem Lila Iké ins Bett steigt. Hauptsache, sie machen weiterhin gute Musik».

Jamaika und Homophobie

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Die Lebensumstände für Queers in Jamaika sind nach wie vor schwierig. Kaum jemand gibt sich in der Öffentlichkeit Jamaikas als homosexuell zu erkennen.

Um die Homophobie in Jamaika zu verstehen, muss man im Geschichtsbuch der Karibikinsel blättern: Kolonialismus und die Sklaverei spielen dabei eine Rolle. Die Homophobie kann als Ausdruck eines weit verbreiteten Anti-Imperialismus verstanden werden. Jahrhundertelang versklavte Jamaikanerinnen und Jamaikaner lassen sich höchst ungern moralische Massstäbe und Lebensstile diktieren. Aber auch das tiefe Bildungsniveau und eine weit verbreitete konservative Bibelgläubigkeit tragen dazu bei.

Auf der anderen Seite findet Homosexualität in der religiösen Rastafari-Bewegung keinen Platz. Nach wie vor gilt in Jamaika auch der sogenannte «Buggery Act»: Gleichgeschlechtliche sexuelle Begegnungen sind verboten und können mit bis zu 10 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Mit homophoben Zeilen ins neue Jahrtausend

Dass sich Fans und Exponenten der Reggae- und Dancehall-Szene auch nur ansatzweise auf die Seite von Queers stellen, wäre vor kurzem noch undenkbar gewesen.

Explizit homophobe Textzeilen in Songs um die Jahrtausendwende grenzten nicht nur Lesben und Schwule in Jamaika aus, sondern verbauten dem Reggae auch den Weg zu Sponsoren, grossen Festivals, Plattenfirmen und in die Medienwelt.

dunkler Mann mit gehäkelter Mütze in rot, gelb, grün. Hält ein Mikrofon in der hand.
Legende: Der sehr erfolgreiche Reggae-Sänger Sizzla fiel in seinen Songs auch durch sehr explizit schwulenfeindliche Textzeilen auf. Keystone / BRAD BARKET

Auftrittsverbote in Europa und Boykotte waren die Folge. Der Höhepunkt wurde Ende der Nuller-Jahre erreicht, als in Europa eine Reihe von Konzerten abgesagt wurden.

Die Reggae- und Dancehall-Szene macht auf

Jetzt wo sich grosse Namen des Genres entweder selbst outen oder an einem LGBTQ-Event auftreten, scheint sich Jamaika und die Reggae- und Dancehall-Szene endlich zu öffnen. Die selbsternannten Pförtner der Kultur, die jetzt noch dagegen antreten, stehen je länger je mehr alleine da mit ihrer Homophobie.

Weder Spice noch Lila Iké wurden angefeindet oder kritisiert – im Gegenteil. Die Musiker vor den Tonstudios in Kingston standen fast unisono zu Spice und Lila Iké. Auch die Hörerinnen und Hörer, die sich bei 105 Edge, einer der grossen Radiostationen Jamaikas meldeten, zeigten sich erfreut über die Entwicklung.

Sogar der Dancehall-Künstler Bounty Killer, der in der Vergangenheit mit hetzerischen Textzeilen gegen Schwule aufgefallen war, stellte sich jüngst hinter Spice. Auf seinen Kanälen nannte er sie die «beste Künstlerin im Dancehall».

Jamaika schielt auch in die USA

Es ist nicht so, dass durch Lila Ikés Outing oder den Auftritt von Spice und den positiven Reaktionen aus Jamaika plötzlich eine aufgeschlossene Gesellschaft geworden wäre. Die jamaikanische Musikszene schielt aber auch immer mit einem Auge nach Amerika: Das US-Rap-Geschäft verabschiedet sich immer deutlicher vom Hass gegen Queers, auch mit dem Outing prominenter Rapper. Frank Ocean bekannte sich schon 2012 zur Bisexualität, Lil Nas X outete sich 2019 als schwul.

drei Männer, alle in silbernem Rock und Oberteil mit Cowboyhut. Mann in der Mitte hält Mikrofon und lacht.
Legende: Der bekannte schwule Rapper Lil Nas X setzt den Macho-Inszenierungen des US-Rap seine eigene Darstellung entgegen. IMAGO / MediaPunch /Casey Flanigan

Jetzt öffnet sich auch die jamaikanische Musikszene mehr und mehr. Dank Lila Iké und Spice scheint die weit verbreitete Homophobie in der jamaikanischen Gesellschaft angezählt.

Es wäre auch eine Erlösung für viele Reggae- und Dancehall-Fans in Europa: Man könnte endlich auch hierzulande bedingungsloser Fan dieser Musik sein.

SRF 2 Kultur, Kontext, 04.03.22, 9:03 Uhr

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