In meiner Kindheit war jede Volg-Filiale auch ein Wallfahrtsort für Freunde von Aurasoma, Bergkristall und Sternzeichen.
Links neben dem Eingang im kleinen Laden meines Dorfes befand sich ein Drehständer mit Armbändern. Sie waren den zwölf Sternzeichen zugeordnet und aus unterschiedlichen Heilsteinen gefertigt. Das Etikett empfahl mir den Rosenquarz, er würde meine Jungfrau-Qualitäten unterstützen.
Zwar schien mir der Aquamarin deutlich interessanter, aber immerhin versprach der Rosenquarz Harmonie und Liebe. Dummerweise fehlte mir das Taschengeld für diese Vorzüge, zu gerne hätte ich die Probe aufs Exempel gemacht.
Inzwischen sind die Heilsteine wieder aus dem Volg verschwunden, die Sterndeutung allerdings hält sich. Sie ist vom kleinen Dorf in die digitale Welt migriert und wird mir regelmässig im Instagram-Feed dargeboten.
Astro-Memes auf Instagram
Einige posten Astrologie-Memes, andere warnen vor dem rückläufigen Merkur und die nächsten erklären, was ihr Aszendent zu bedeuten hat. Zuletzt hat sich gar Adele ein Saturn-Tattoo stechen lassen. Beim Jupiter, was ist hier los?
Aktuell scheinen gerade junge Leute ein grosses Interesse an Astrologie zu haben, sagt die Präsidentin des Schweizer Astrologenbundes Monica Kissling. Der Bund verzeichnete im vergangenen Jahr rekordhafte 20 Prozent Neumitglieder. Der «Spiegel» meldet, dass Thalia, das grösste Buchhandelsunternehmen Europas, seit Corona deutlich mehr Bücher zum Thema verkauft.
Dieser Aufschwung geschieht, obwohl sich Astrologie nicht belegen lässt. Vielmehr sollte man sie als ein psychologisches Deutungssystem betrachten, das den Betreibenden oftmals der spielerischen Selbsterkundung dient.
Um herauszufinden, weshalb die Astrologie sich so hartnäckig hält und was sie den Betreibenden verspricht, habe ich eine Astro-Influencerin, eine Psychotherapeutin, einen Religionswissenschaftler, eine astro-faszinierten Laufbahnberaterin und einen Astrophysiker zu Rate gezogen.
Erfolgreiche Instagram-Astrologin
Ein prominentes Beispiel aus der bunten Welt der Astro-Influencerinnen und -Influencer ist Alexandra Kruse. Sie kam wegen einer Lebenskrise zur Astrologie. Der Suizid des Vaters, der Tod der Schwester und die Trennung vom langjährigen Partner hätten bei ihr einen Perspektivenwechsel ausgelöst und sie zu ihrem heutigen Job als Astro-Kolumnistin gebracht.
Wenn die umtriebige Wahlzürcherin jetzt noch kein Phänomen ist, dann wird sie bestimmt noch zu einem: In beinahe verklärter Weise orakelt sie über die «Taurus Season», Magie und immer wieder über weibliche Selbstermächtigung. Auf Instagram hören ihr dabei 10'000 Leute zu.
Daneben analysiert die selbsternannte «Magic Mama» für die deutsche Vogue und das Annabelle-Magazin in Kolumnen den bestirnten Kosmos.
Die Sterne weisen den Weg zum Friseur
Ihren Alltag bestimmen die Sterne selbstverständlich mit. Im Gespräch erklärt Kruse, dass sie ihren Friseurtermin oder das Fensterputzen mit dem Mondkalender koordiniere: «Natürlich, ich bin doch nicht blöd!», sprudelt sie heiter.
Für sie heisst das: Geschnitten wird nur, wenn der Mond im Löwen oder der Jungfrau steht, weil das Haar dann kräftigende Stoffe gut aufnehmen soll.
Auf Frisuren-Websites zeigen Mondkalender, wann der Friseurbesuch für den Eimer ist: Wenn der Erdtrabant in Wasserzeichen, etwa im Krebs steht: Struppiges Haar und Bad-Hair-Days seien dann garantiert, weil die Haare schneller wachsen würden.
Einen wichtigen Vertrag unterschreibe ich niemals im rückläufigen Merkur.
Auch wenn viele solchen Voraussagen keinen Glauben schenken würden: Für Kruse ist Astrologie keine Glaubenssache. Und was, wenn die Sternenprognose nicht eintrifft? «Ich bin erstaunlich unhysterisch, wenn es mal nicht klappt. Einen wichtigen Vertrag allerdings werde ich niemals im rückläufigen Merkur unterschreiben. Auch nicht in der Woche vorher oder nachher», so die Kolumnistin. Denn alles was mit Kommunikation zu tun habe, wie eine Vertragsunterzeichnung, sei vom Kommunikations-Planeten Merkur beeinflusst.
Auf die Frage, ob sie auch schon mal die Gegenprobe aufs Exempel gemacht habe, meint sie: «Warum sollte ich? Ich muss weder mir noch sonst jemandem etwas beweisen.»
Sie habe sehr viele positive Erfahrungen und Beobachtungen gemacht. «Die Erkenntnisse meiner Forschung dienen mir als Werkzeug der Selbsterkundung, die ich dann in die Welt hinausposaune.»
Persönliche Erfahrung toppt Wissenschaft
Was Kruse beschreibt, ist klassisch für Astrologie-Aficionados. Diese wissen, dass wissenschaftlich nichts für die Astrologie spricht. Für sie überwiegen die eigenen positiven Erfahrungen aber die wissenschaftliche Erkenntnis.
Der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad erklärt: «Astrologie ist oft eine Art Lebenshilfe: eine Methode, das eigene Leben in den kosmischen Rhythmen zu verankern. Menschen erfahren Astrologie als plausibel, obwohl sie wissen, dass das wissenschaftlich nicht nachweisbar ist.»
Sofort-Horoskop dank Astrologie-App
Zur Frage, ob Astrologie gerade einen Boom erfährt oder durch die sozialen Medien bloss sichtbarer wurde, gibt es keine Studien. Eindeutig aber ist, dass Astrologie und Horoskope viel zugänglicher geworden sind.
Wenn man früher mit 30 oder 40 in einer Sinnkrise vielleicht mal zur Astrologin ging, kann man sich heute mit einem Klick ein vermeintlich höchst individuelles Horoskop herunterladen.
Man braucht dafür bloss in einer der zahlreichen Apps Datum, Zeitpunkt und Ort der Geburt einzugeben. Schon blickt einem das eigene Horoskop – Radix-Horoskop genannt – entgegen. Farbig und vor lauter Symbolen vorerst kaum zu entziffern.
Einfacher geht es mit der mit Abstand erfolgreichsten Astrologie-App «Co-Star», die weltweit fast acht Millionen Nutzende hat und täglich personalisierte Push-Nachrichten, basierend auf Geburtsdatum, -Ort und -Zeit, verschickt und astrologische Tipps für das tägliche Leben verteilt.
Ist Astrologie für Narzissten?
Für die Psychotherapeutin Felizitas Ambauen ist klar, dass es hier auch darum geht, gesehen zu werden und als Individuum gemeint zu sein. Man ist nicht nur jemand unter vielen, sondern etwas Einmaliges.
Die Einzigartigkeit der Sternkonstellation bei der eigenen Geburt kann Futter für die Egos einer hyperindividualistischen Zeit sein. Ist Astrologie also ein Zeitvertreib für Narzissten?
So zumindest sieht es eine Studie der Universität Lund , die Ende letzten Jahres publiziert wurde. Die Forscher schlussfolgerten, dass gesteigerte Selbstverliebtheit ein Indikator für die Beschäftigung mit Astrologie sein könne.
Ambauen merkt an, dass Narzissmus eine Bewältigungsform für Unsicherheit sei: Der narzisstischen Persönlichkeitsstörung liege eine Schwäche des Selbstwertes zugrunde. Ein Deutungssystem wie die Astrologie könne partiell helfen, diese Selbstwertthematik zu stabilisieren. Damit funktioniert sie wie der Placebo-Effekt.
Sterne als Entscheidungshilfe
Als Jugendliche hat die heutige Psychotherapeutin Ambauen selbst eine astrologische Ausbildung gemacht, bevor sie sich davon ab- und der Psychologie zugewandt hat. Zu sehr hatte sie das Gefühl, dass man durch Horoskope und Sterndeutung die eigene Verantwortung abgebe.
Viele Astrologie-Begeisterte haben nicht gelernt, auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu vertrauen.
«Mit 18 fragt man sich, wer man werden will und ist erschlagen von den vielen Möglichkeiten», sagt Ambauen. Damals habe ihr die Astrologie geholfen, Optionen zu sehen und Ideen für die eigene Zukunft zu bekommen.
Personen, die Astrologinnen und Astrologen aufsuchen, seien oft in vulnerablen Lebenssituationen und suchen nach Halt, erklärt Ambauen, das sei in der Psychotherapie nicht anders. Solche Situationen seien anfällig für Machtmissbrauch.
Astrologie geht also so lange gut, wie das Horoskop nicht in die eigene Lebensgestaltung einschränkt: «Wenn jemand sagt: ‹Mit dieser Sternen-Konstellation wirst du niemals Künstler›, läuten bei mir alle Alarmglocken», so die Psychotherapeutin Ambauen.
Den Sternen vertrauen statt sich selbst
Je nach Charakter und persönlicher Prägung können solche Aussagen im negativsten Sinne zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden.
Astrologie-Begeisterte seien oft Menschen, die als Kind nicht gelernt haben, auf sich, die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu vertrauen. Stattdessen haben etwa Eltern oder Lehrer gesagt, wie das Leben zu führen sei. Diese Rolle übernehme später vielleicht ein Horoskop oder eine charismatische Person. Hierin liege auch die Gefahr.
«Solange Astrologie indes nicht prognostisch und deterministisch verwendet wird, kann sie durchaus als Empowerment erlebt werden», sagt Ambauen.
Horoskop verhindert Hochzeit
So geht es auch der Laufbahnberaterin Frau Huber, die nicht mit ganzem Namen genannt werden möchte. Die Astrologie habe ihr schon mehrfach Entscheidungen erleichtert.
Astrologie ist für mich ein Werkzeug der Selbstreflexion.
Als sie 21 Jahre alt war, erhielt sie einen Heiratsantrag – und lehnte ab, mit Hilfe von Horoskopen. Für sie war das ganz natürlich: «In elementaren Dingen waren mein damaliger Partner und ich trotz aller Anziehung zu unterschiedlich, das zeigte sich auch im Horoskop.»
In den Sternzeichen fand Huber eine Erklärung für etwas, das sie zuvor bereits gespürt hatte. Die Astrologie half, Klarheit in diffuse Gefühle zu bringen.
Eingeschränkt in ihrer Entscheidungsfreiheit fühle sie sich dadurch nicht, sagt Huber. Im Gegenteil: Astrologie gebe ihr die Möglichkeit, grössere Zusammenhänge zu erkennen. Bei wichtigen Terminen wie etwa dem neuen Hochzeitsdatum sichere sie sich über die Astrologin ab.
Ein Leben ohne Astrologie würde Huber heute als ärmer empfinden: «Astrologie ist für mich ein Werkzeug der Selbstreflexion.»
Berge haben mehr Einfluss als Sterne
Der Astrophysiker Timm Riesen ist hingegen der Ansicht, dass Astrologinnen und Astrologen mächtig falsch liegen.
Aus dem All könnten uns lediglich das Licht oder die Anziehungskraft beeinflussen, sagt Riesen. Das sei selbst bei grossen Planeten wie Saturn oder dem Jupiter schwierig: «Die sind so weit weg, dass, wenn ich mich den Alpen auf 30 Kilometer nähere, der Berg Jungfrau einen viel grösseren Einfluss auf mich hat als der Jupiter. Dennoch richte ich mein Horoskop nicht nach den Alpen aus», meint Riesen lächelnd.
Eine Frauendomäne?
Auffällig ist, dass die Sterndeutung viele Frauen fasziniert: 2020 zählte der Schweizer Berufsverband unter den Mitgliedern 87 Prozent Frauen. In ihrer 3000-jährigen Geschichte war die Astrologie freilich nicht immer eine Frauendomäne – man denke an Forscher wie Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler oder Galileo Galilei.
Die Faszination für Astrologie und verwandte esoterische Traditionen sei seit dem 19. Jahrhundert ein gegendertes Phänomen, so der Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad.
«Das heisst aber nicht, dass Frauen dafür empfänglicher sind», sagt von Stuckrad. Der Grund sei vielmehr in Geschlechterbildern zu suchen.
«Männer werden so trainiert, dass sie solchen Dingen gegenüber eine skeptische Haltung einnehmen», sagt der Religionswissenschaftler. Für gewisse Frauen sei Astrologie hingegen eine Möglichkeit der Ermächtigung und Selbstverwirklichung.
Aufgehoben im Kosmos
Meine Reise ins astrologische Universum hat gezeigt: Furchtbar ernst nehmen die Astro-Begeisterten in den sozialen Medien ihre Sternenkonstellation oftmals nicht. Vieles daran ist Spiel und persönliche Auskundschaftung. Wer sein Leben nicht von der Astrologie bestimmen lässt, kann sie als eine andere Weise nutzen, sich mit sich selbst zu befassen – einfach über den (Um)weg der Sterne.
Wenn die Sterndeutung mal scheitert, heisst das nicht mehr, als dass man sich vielleicht kurzfristig bei der Auslegung geirrt hat. Für viele Astrologie-Interessierte zählt, mit einem Bewusstsein durch die Welt zu gehen, dass wir Menschen Teil eines grossen Kosmos und Zyklus sind und uns entsprechend verhalten.
Es ist wohl gerade dieses Bewusstsein, als Mensch in etwas Grösseres eingebunden und darin aufgehoben zu sein, das die Astrologie für viele junge Menschen so attraktiv macht.