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Der Archivar Doppel-D für die Puppenstube

18. November 1965. Vorweihnachtszeit. Die dralle Barbie-Puppe ist Thema im Freitagsmagazin. Sie ersetzt den Renner aus dem Vorjahr: den schreienden Säugling. Sexyness statt Brutpflege. Pädagogen warnen, wie jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit, vor neumodischem Spielzeug. Schäden werden befürchtet.

Bei Barbie heisst es: Meitli werden einen Modefimmel kriegen, weil die Barbie so viele Klamotten zum Wechseln hat. Ein bisschen viel Oberweite habe sie auch. Das Kinderzimmer werde zur frühsexualisierten Zone. Aber alles Geraune kann Barbie nicht stoppen. Eine Million Exemplare werden bereits 1964 von der drallen Blonden verkauft in 65 Ländern. Und als dann 1965 auch noch das Weihnachtsgeschäft dazukommen könnte, befürchtet man noch grössere Verbreitung. Jedes Jahr die wiederkehrende Frage nach dem pädagogischen Schaden, den so etwas anrichten kann.

Alle Jahre wieder: Warnungen vor neumodischem Kram

Wenn der 1. Advent näher rückt, gibt es nur ein Thema: den Wunschzettel. Kinderaugen werden grösser. Die Versandhäuser der 1960er- und 1970er-Jahre verschickten damals Weihnachtskataloge. Ältere werden sich erinnern. Eltern, die den Fehler machen, die Kataloge nicht gleich auf dem höchsten Kleiderschrank zu verstecken, sehen sich, wenn die in Kinderhände fallen, damit konfrontiert, dass seitenweise bestellt wird.

Archivperlen

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Das Archiv von SRF ist ein fulminanter Fundus, ein audiovisuelles Gedächtnis, in Schwarz-weiss oder Farbe, analog oder digital. Wichtiges und Unwichtiges, Überholtes und allzeit Gültiges, Alltag und grosse Weltgeschichte.

Im Player von SRF sind eine Vielzahl von «Perlen», die Ihnen online zugänglich sind sowie im Archivkanal auf Youtube.

Jedes Jahr das immer gleiche Spiel: Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft kommt eine Errungenschaft auf den Markt, die eine Zielgruppe unbedingt haben muss. Das Fest der Liebe und der Reibach gehören zusammen.

Und mit derselben Regelmässigkeit wird vor dem neumodischen Kram gewarnt: Pädagogen, Psychologen, Ethnologen haben Hochkonjunktur. Sobald der erste Kunstschnee eine Schaufensterauslage trifft, erscheint eine Untersuchung oder zumindest eine düstere Mutmassung, welchen Schaden ein neumodisches Spielzeug anrichten kann.

Schenken oder nicht schenken, das ist hier die Frage

Immer wiederkehrend aber auch der Versuch der Konsumkritik. Das Jahr hat bekanntlich 52 Wochen. Konsumkritik kommt immer dann, wenn Umsatz gemacht wird. In den 1960er-Jahren generiert der Umsatz in der Vorweihnachtszeit 25 bis 30 Prozent des Jahresumsatzes. Weihnachten sei das Fest der Liebe, mit Geschenken habe das recht wenig zu tun, heisst eine Position. In den 1970er-Jahren wird es Mode, «sich mal nichts zu schenken.» Das löst damals einige Betretenheit bei denen aus, die nicht mehr wissen, wo sie die Weihnachtsgeschenke noch verstecken sollen, Keller und Estrich sind bereits voll.

Und heute?

Pädagogische Überlegungen gelten immer nur in Bezug auf Kinder und Jugendliche. Erwachsene scheren sich um dergleichen wenig. Papa hat seine elektrische Eisenbahn immer schon mal um ein paar Kilometer verlängert. Pädagogisch sicher wertvoll, denn Löten will ja auch gelernt sein, aber für die Familienhygiene problematisch. Von Papa hat man dann bis Ostern wenig gesehen. Ausser er kommt winselnd unter dem Eisenbahntisch vorgekrabbelt, weil er sich wieder die Bandscheibe gezwickt hat, wegen der «scheiss Eisenbahn».

Audio
Vom Gisskannen-Schenker zum Verweigerer (Treffpunkt, 19.12.2014)
54:07 min
abspielen. Laufzeit 54 Minuten 7 Sekunden.

In den 1980er- und 1990er-Jahren ist Holzspielzeug hoch im Kurs. Alle mit «Plasikschrott» sind damals um ein Haar sensitiv unterbelichtet und der Phantasie beraubt worden.

In unseren digitalen Zeiten ab Jahrtausendwende gibt es Diskussionen darum, wie gefährlich Spielkonsolen sind. Jahre später bekommt jeder seine eigene, damit sich Eltern und Kinder nicht immer streiten müssen, wer mal darf.

Sicherlich machen sich Eltern aller Generationen seriöse Überlegungen, was sie denn ihren Kindern schenken sollen. Und all dem unterliegt etwas, was Platon als pädagogischen Irrtum bezeichnet: Nämlich die Annahme, wenn man einem Menschen gute Mittel zur Verfügung stelle, dann werde er auch automatisch gut.

Die meisten Familienkräche gibt es am Fest der Liebe

Konsumkritik ist Dauerthema. Deswegen gibt es den Ausverkauf jetzt schon vor Weihnachten. Man kann schenken und sparen gleichzeitig. Die ganz Gewitzten verschenken Gutscheine, denn im Januar ist alles viel billiger. Wenn das so weiter geht, kriegt man am Schluss noch Geld zurück.

Die Vorweihnachtszeit ist Stress. Bloss nicht das Falsche schenken. Muss es eigentlich einem selbst oder dem anderen gefallen? Die Frage entzweit bis heute die Menschheit. Keine Krawatten! Keine Unterwäsche, um die Ehe zu retten! Weihnachten ist nicht einfach. Die meisten Familienkräche gibt es am Fest der Liebe.

Die erste Barbie-Generation ist jetzt übrigens um die 50. Die macht nicht den Eindruck, als hätte sie kollektiv Schaden genommen.

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