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Der Archivar Skandal! Schwule Szenen am Schweizer TV

15. April 1984, Sonntagabend – als Familienprogramm gibt's schwule Liebesszenen. Der Aufschrei ist gewaltig: «Das im Schweizer Fernsehen!» Die Serie heisst «Motel» und schreibt Geschichte. Zur Wiederholung am Dienstag werden die schwulen Szenen gekürzt. Noch ein Aufschrei – aus einer anderen Ecke.

Man weiss ja, dass «früher alles anders war», wie man sagt. Aber wenn man nach präzise 30 Jahren den Kuss von zwei Männern in «Motel» sieht, wundert man sich, welchen Skandal dies damals ausgelöst hatte.

Passiert ist der Kuss am 15. April 1984. Das ist ein Sonntagabend. Der programmatische Episodentitel lautet: «Dr schön Paul». Der schöne Paul wird gespielt von Peter Freiburghaus, und der küsst in jener Episode den Lehrling Pepino, gespielt von Daniel Lévy. Die Sendung ist kaum vorbei, da kommen die ersten Anrufe. Die Resonanz ist gewaltig, der Tenor eindeutig: «Sauerei!» Waschkörbe «hässiger» Zuschauerpost werden in den folgenden Tagen im Fernsehstudio am Leutschenbach eintreffen.

«Motel»

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8.1. bis 30.12.1984, Sonntag um 20.00 Uhr und Dienstag 18.35 Uhr:

Die Serie spielt im «Motel» bei der Autobahnausfahrt in Egerkingen. Mit: Jörg Schneider, Silvia Jost, Dani Levy, Rahel Keiser und vielen anderen.

Dabei hat doch alles so schön begonnen

Drei Monate vor dem Skandal, am 8. Januar 1984, startet die neue Serie «Motel». Im «Züritip» heisst es zwei Tage vorher: «Die längste Schweizer Fernsehserie hat 40 Folgen und spielt in der heutigen Zeit. ‹Motel› erzählt die Geschichten von ‹gewöhnlichen Leuten›, will den Schweizern einen Spiegel vorhalten, in dem sie sich selber im Jahr 1984 erkennen.»

Während der Rest der deutschsprachigen Welt gen Denver und Dallas glotzt, soll es in «Good old Switzerland» etwas wahrhaft Heimatliches sein. Als Ort hat man sich ein Motel an der Autobahn in Egerkingen ausgesucht, da hat man das Stammpersonal und viel Durchgangsverkehr, dramaturgisch schlau gedacht.

Jede Woche eine neue Folge mit aktuellem Bezug, das ist der Anspruch der Macher. Das heisst aber auch, dass fast ausnahmslos innerhalb einer Woche produziert wird. Alles nah an der Zeit und mit der heissen Nadel gestrickt. Das Produktionsverfahren bringt dem Schweizer Fernsehen einen Besuch der BBC ein, die aus dem Staunen nicht mehr rauskommt und das Verfahren sogleich kopiert. In Egerkingen war man damals weiter als in London. Jedenfalls in dieser Hinsicht. Das ist lange her.

Dann ist der Lack ab

Die Serie wird von den Zeitungen anfangs mit reserviertem Wohlwollen beäugt. Ende Februar ist der Lack ab: Die Schweiz sei nicht so langweilig, der Alltag nicht so grau. Im März schreiben die ersten Blätter, mit den Drehbüchern müsse jetzt aber etwas passieren. Doch als ein Mann einen anderen küsst, ist es mit der Gemütlichkeit vorbei.

Die 15. Folge mit dem schönen Paul wird, wie alle anderen auch, am Dienstag wiederholt, um 18.35 Uhr. Auch das noch. Schwule Szenen bevor «s'Guet-Nacht-Gschichtli chunnt». Am Leutschenbach werden die beiden Szenen gekürzt. «Zensur» titeln Zeitungen. Die Schwulenverbände sind am Sonntag noch glücklich, dass die pinke Sonne am Jurasüdfuss aufgeht. Nach der gekürzten Version vom Dienstag sind sie aufgebracht.

Bei der Kuss-Szene hat man in der ersten Version eine einfache Liebesszene gesehen – im gegenseitigen Einverständnis. In der zweiten Version nach der Kürzung hat man den Eindruck, da sei jemand missbraucht worden und renne schreiend davon. In dieser Version hat Homosexualität mit Nötigung und Gewalt zu tun. Logisch will das kein Schwulenverband unwidersprochen stehen lassen.

Schwule sind amerikanisch aber nicht schweizerisch

Die Homosexualität der ersten Ausstrahlung passt nicht ins Bild der einen Schweiz, die Homosexualität der zweiten Ausstrahlung passt nicht ins Bild der Schwulen und dazwischen eingeklemmt das Team von «Motel». Die Zeitungen haben einen veritablen Skandal, alle titeln, die einen sehr besonnen.

In all dem bringt «Der Bund» am 21. April 1984 etwas auf den Punkt: «Im ‹Denver-Clan›, da scheint dies zu gehen, da kann der Sohn des Ölkönigs schwul sein, ohne dass alle Welt gleich empört schreit... aber im ‹Denver-Clan› ist halt auch sonst alles fremd. Da fällt eine Beziehung zwischen zwei Männern nicht aus dem Rahmen.» In der Schweiz war der Rahmen damals anders. Das ist 30 Jahre her.

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