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Junges Paar steht auf einer Brücke über der Aare; er hält ihre Hand.
Legende: Ein Flirt – und viele vergessen alles um sich herum: Szene aus dem Filmessay von 1962. SRF
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Der Archivar Zahm, aber zärtlich: Flirten im Jahr 1962

Am 12. Mai 1962 bringt das Schweizer Fernsehen ein filmisches Essay über den Flirt. Da bandeln zwei an, gehen aus. Er bringt sie heim. «Alles hat sich verändert», vertraut sie ihrem Tagebuch an. Küssen tun sie noch nicht, dazu muss man verliebt sein, weiss sie. Flirten hat eben Regeln.

«Ein Flirt ist eine erotisch konnotierte Annäherung zwischen Personen», weiss Wikipedia. Diese Annäherung hat etwas Spielerisches. Die Regeln sind nicht immer klar. Und das macht den Reiz der Sache aus. Flirten hat mit diffus, mit mehrdeutig zu tun. Mit signalisieren, aber nie zu eindeutig, die Chance zum Rückzug muss bleiben.

Flirten hiess Hin- und Herflattern

Schaut man in Kluges ethymologisches Wörterbuch, dann steht unter Flirten: Die Herkunft des Wortes sei nicht sicher. Das Wort tauche im Neufranzösischen auf: «flirter». Im Neuschwedischen: «flörten» und im Englischen taucht es in der heutigen Bedeutung erst im 18. Jahrhundert auf, vorher sei es in anderen Kontexten verwendet worden und habe soviel wie «hin- und herflattern» bedeutet. Das scheint ja nicht so weit von der heutigen Bedeutung weg zu sein. Es gibt im 16. Jahrhundert im Französischen eine Wendung, die soviel bedeutet wie: «einer Frau schöne Augen machen.» Soviel zur Historie.

Zur jüngeren Vergangenheit

Am 11. Mai 1962 sendet das Schweizer Fernsehen ein filmisches Essay. Knapp 18 Minuten zum Thema Flirt. Raoul Bärlocher inszeniert junge Menschen aus Bern und Umgebung, die vier Anfangszwanziger spielen. Es gibt eine Rahmenhandlung: Die Hauptfigur schreibt ins Tagesbuch und erinnert sich, wie sie «den Franz» kennenlernt. Der Ton eiert manchmal ganz grausam, das Bild wird mittendrin kurz unscharf, dann ist wieder alles gut. Essigeffekt nennt man das. Aber was dieses Dokument trotz allem ganz hervorragend zeigt: Es zeigt, was man 1962 unter Flirt versteht und was sicher nicht. Da lassen sich, ganz vergröbert, Phasen erkennen und was noch zum Flirt gehört und was schon zum Verliebtsein gehört.

  • 1. Phase 1: «Allein mit ihm»

    Am Anfang von so einer Geschichte hat man ein Auge auf jemanden geworfen. Mehr nicht. Zumeist ist «derjenige welcher» oder «diejenige welche» in der gleichen Gruppe, Umgebung, Firma. Umgeben von allerlei Fremden und Freunden ist man nie mit der oder dem Angehimmelten allein. Die andern Kollegen, Freunde vermitteln Schutz, erlauben aber auch keine Annäherung. Aus irgendeinem (klug herbeigeführten) Zufall passiert es dann doch: Endlich! Die zwei, um die es geht, sind plötzlich allein. Und dann? Seltsamerweise scheint sich über die Jahrhunderte zu halten, dass man nur genau bis zu diesem Moment denkt und keinen Schritt weiter. Ja und dann? Wenn der Moment dann da ist, dann stehen sie ratlos und blöd da. Hier, in unserem Fall, stehen die beiden hoch über Bern, lesen aus Verlegenheit eine Inschrift nochmal, die sie wahrscheinlich schon häufig gelesen haben und gehen an der Mauer lang, dort wo sie in Bern runterspringen oder fallen. «Soll das eine Metapher sein?», fragt man sich noch als Zuschauer und kommt zum Schluss: Romantisch ist wohl anders.
    Video
    «Allein mit ihm», Studio Bellerive, 12.5.1962
    Aus Kultur Extras vom 03.05.2016.
    abspielen. Laufzeit 52 Sekunden.

  • 2. Phase 2: «Die erste Berührung»

    Es ist ein vorsichtiges Tasten: Wie findet mich der, die andere? Soll ich’s wagen oder doch besser nicht? Gibt es Anzeichen, hätte ich eine Chance? Findet sie mich attraktiv? Der Flirt soll ja eine Art Spiel sein, das nicht ganz eindeutig auf Sex aus ist. Oder doch? Gerade die Diffusität macht es wohl besonders spannend. Ein Spiel, ein besonderes, eines von dem Jeanne Moreau sagt, es gehe nicht darum, wer gewinne und erster werde: «Am Schluss werde man eingeholt.»
    Video
    «Die erste Berührung», Studio Bellerive, 12.5.1962
    Aus Kultur Extras vom 03.05.2016.
    abspielen. Laufzeit 1 Minute 42 Sekunden.

  • 3. Phase 3: «Er bringt sie heim»

    Da gehen sie zum ersten Mal gemeinsam weg, in einen der Berner Jazzkeller. Mit Grill! Da baut der Franz bereits Luftschlösser. Sie hört erstaunt und selig zu. Sie reden und reden, bleiben recht sittsam. Dann holen sie aus unerfindlichem Grund einen Kübel Wasser. Wir sehen, wie unglaublich schön und schwarz-weiss Bern des Nächtens sein kann. Der Franz muss später das Lokal verlassen, weil zwei sich küssen, das gehe ja gar nicht, meint er. Sie entgegnet, die dürften das, seien sie «doch schon verlobt». Er bringt sie zum ersten Mal heim, alles sehr scheu. Die zwei schlendern durchs nächtliche Bern, und das ist umwerfend: Da ist Bern auf einmal das Zentrum eines urbanen Heimatfilms. Und dieses nächtliche Bern ähnelt Wien in «Der dritte Mann» – nur eindeutig weniger gefährlich. Der Franz bringt sie heim, der weisse Ritter geleitet sie bis an die Haustüre und geht! Er drängt nicht, sondern zieht sich zurück, galant, ganz Herr von Welt und mit Stil. Sie öffnet droben vor dem Spiegeloval ihr Haar und legt sich alsbald nieder. 1962. Abblende.
    Video
    «Er bringt sie heim», Studio Bellerive, 12.5.1962
    Aus Kultur Extras vom 03.05.2016.
    abspielen. Laufzeit 1 Minute 56 Sekunden.

Und heute?

Flirten ist heute etwas deutlich anderes als 1962. Google findet 41 Millionen Einträge im Internet. Da gibt es nicht nur den üblichen Wiki-Eintrag, sondern auch Einträge im «urban dictionary». Verwandte Begriffe zu Flirt sind zuallererst Sex. Es folgen Begriffe, die wenig jugendfrei sind.

Mittlerweile gibt es Fachbegriffe dafür, wenn jemand flirt-süchtig ist, das heisst «flirtaholic». Es gibt einen Begriff dafür, wenn man aufs WC muss und dort per SMS weiter flirtet. Es gibt einen Begriff für die Leute, die keinen Flirt mitbekommen. Selbst dann nicht, wenn man ihn schriftlich mitteilen würde. Und es gibt das Gegenteil: Herren der Schöpfung, die die blosse Anwesenheit einer Frau bereits als Aufforderung verstehen.

Flirten, ein umkämpfter Markt

Flirten ist nicht nur im Wonnemonat Mai ein heisses Thema. Im Netz gewinnt man den Eindruck, Flirten sei auch ein hart umkämpfter Markt: Es gibt Flirtkurse, ja Flirtunis. Man kann flirten mit und ohne Niveau. Auf die Schnelle oder akademisch. Das muss vorher einfach klar sein. Regeln sind wichtig, sonst geht etwas schief. Und das kann sich heute niemand leisten, dass etwas schief geht. Überraschungen ja, aber nur gute. Und deshalb müssen sich alle an Regeln halten. Wer die Regeln nicht kennt, ist draussen.

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