SRF: Fahren sie jeweils mit dem Zug durch den Gotthard?
Pasquale Aleardi: Heute sehr selten. Aber ich erinnere mich daran, dass es als Kind ein Abenteuer war. Wenn wir durch den Gotthard-Tunnel nach Italien fuhren, waren wir nämlich entweder auf dem Weg über Ancona nach Griechenland, wo meine Mutter herkommt oder nach Kalabrien, woher mein Vater stammt.
Der Film ist sehr aufwändig gemacht und versetzt einen zurück ins 19.Jahrhundert. Sie spielen einen Mineur, der damals den ersten Eisenbahntunnel mitbaute. Wie haben Sie sich mit der Rolle und mit der damaligen Zeit auseinandergesetzt?
Als ich das Drehbuch las, war ich schockiert über die damaligen Zustände und ich bewunderte, welche Opfer für diesen Tunnelbau gebracht worden waren. Für die Rolle des Mineurs Tommaso habe ich körperlich zugenommen, habe Gewichte gestemmt und Hochdeutsch mit italienischem Akzent geübt. Den Stolz für die Figur habe ich von meinen griechischen und italienischen Onkeln abgeschaut. Da waren meine Wurzeln hilfreich.
Für die Rolle des Mineurs Tommaso habe ich körperlich zugenommen, habe Gewichte gestemmt und Hochdeutsch mit italienischem Akzent geübt
Auf der Baustelle war es dreckig, es herrschten katastrophale hygienische Zustände, viele Mineure wurden krank. Für den Fortschritt haben die Menschen zu jener Zeit sehr viel in Kauf genommen. Ist das heute anders?
Es hat sich viel verändert, aber es müsste sich noch viel mehr ändern. Wenn man nach Indien schaut oder nach Asien, da ist das immer noch aktuell, da gibt es noch unfassbare Missstände.
Aber es müssen immer erst viele Opfer gebracht werden, es muss schlimm sein, Menschen müssen sterben, bevor sich etwas ändert. Ich bewundere Menschen wie Tommaso, die den Mut hatten, mit Leib und Seele hinzustehen für andere – ohne Rücksicht auf eigenen Verlust.
Was soll der Film «Gotthard» beim Publikum bewirken?
Ich hoffe, der Film führt dazu, dass man an die Menschen denkt, die für diesen Tunnel ihr Leben liessen und dass man ihre Leistung wertschätzt. Der Gotthardtunnel hat viel verändert, unter anderem wurde durch die dortigen Ereignisse die Arbeiterbewegung gestärkt. Es war höchste Zeit für ein filmisches Denkmal.
Ich hoffe, der Film führt dazu, dass man an die Menschen denkt, die für diesen Tunnel ihr Leben liessen und dass man ihre Leistung wertschätzt.
Was nehmen Sie selbst vom Film mit?
Ich sehe jeden Tunnel, durch den ich fahre, mit anderen Augen. Ich sehe die Mühsal und die Opfer dahinter. Wenn man sich vorstellt, dass die Arbeiter bei fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit und 34 Grad Hitze in unfassbar schlechter Luft malochten, dass sie ihre Notdurft an Ort verrichten und kaum Geld verdienten, dann ist das schockierend.
Viele litten unter Staublungen, viele starben sogar wegen der hygienischen Missstände. Und als sich die Mineure gegen diese furchtbaren Bedingungen wehrten, mussten sie damit rechnen, erschossen zu werden. Das ist schon sehr heftig.
Haben Sie beim Drehen diese katastrophalen Arbeitsbedingungen etwas nachempfinden können?
Es wurde in Köln in einer riesigen Halle ein Tunnel nachgebaut. Darin haben wir eine Woche lang in Staub und Dunkelheit gedreht. Selbst in dieser kurzen Zeit dachte ich: was man da alles einatmet, das möchte man lieber gar nicht wissen.
Am Schluss der Dreharbeiten war ich einfach dankbar, dass der Gotthardtunnel gebaut wurde und dass es Menschen gibt, die alles tun, um eine Sache zu verbessern.
Das Gespräch führten: Annette Scharnberg und Sandra Steffan.