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Die Schweiz liess ihn nicht los
Aus Kultur Webvideos vom 05.01.2021.
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100 Jahre Dürrenmatt Der grosse Denker mit Stift und Pinsel

Friedrich Dürrenmatt machte als Schriftsteller Karriere. Aber er liebte auch das Malen. Weggelegt hat er den Pinsel nie.

Eigentlich wollte Friedrich Dürrenmatt Maler werden. Schon als Kind hat er leidenschaftlich gemalt und gezeichnet, mit dem Stift fantasiert. Aus Büchern, die er in der Bibliothek seines Vaters gefunden hat, hat er Geschichten illustriert.

«Die Disposition von Text und Bild sehen wir schon sehr früh in Dürrenmatts Schaffen», sagt Madeleine Betschart. Die Direktorin des Centre Dürrenmatt in Neuchâtel hat mit ihrem Team das Zusammenspiel von Malen und Schreiben in Dürrenmatts Werk erforscht.

Kein Zwitter sein

«Soll ich malen oder schreiben? Es drängt mich zu beidem. Aber ich weiss auch, dass man diese beiden Künste nicht gleichzeitig ausüben darf, denn bald wird einer zum Zwitter. Er schreibt, da wo er malen sollte und wo Schreiben am Platze gewesen wäre, greift er zum Pinsel», schrieb Dürrenmatt als junger Mann seinem Vater.

Einen Entschluss fasste er als 25-Jähriger. Er wählte das Wort – und wurde Schriftsteller.

Dürrenmatt, der Dramatiker: Literatur und Malerei

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Weltweit bekannt geworden ist Dürrenmatt für seine Theaterstücke. Das war auch die Welt, in der der Autor und Maler seine beiden Ausdrucksformen vereinen konnte: «Theater war für mich eigentlich die Erlösung, die Synthese von Literatur und Malerei.»

Er hat Bühnenbilder gezeichnet, Szenarien und Figuren erdacht und skizziert. «das hat ihn zu einem sehr guten Dramatiker gemacht», bestätigt Madeleine Betschart.

Trotz der Vorbehalte liess Dürrenmatt das Malen und Zeichnen nie ganz sein. Seine Bilder waren für ihn die Experimentierfelder fürs Schreiben.

«Meine Zeichnungen sind nicht Nebenarbeiten zu meinen literarischen Werken, sondern die gezeichneten und gemalten Schlachtfelder, auf denen sich meine schriftstellerischen Kämpfe, Abenteuer, Experimente und Niederlagen abspielen», schrieb Dürrenmatt 1978.

Dunkle Zeichnung von drei Männern. Einer trägt eine Perücke. Vor ihnen steht ein Tisch mit Tellern drauf.
Legende: Im Theater konnte Friedrich Dürrenmatt seine beiden Leidenschaften vereinen. Hier eine Zeichnung seines Stückes «Die Physiker». DIE PHYSIKER I. FRIEDRICH DÜRRENMATT. SAMMLUNG CENTRE DÜRRENMATT NEUCHÂTEL © CDN / SCHWEIZERISCHE EIDGENOSSENSCHAFT

Rezept gegen Schreibblockaden

Für Dürrenmatt war Malen ein Prozess, um Gedanken zu ordnen – auch dann, wenn er beim Schreiben nicht weiterkam. «Auf seinem Schreibtisch hatte er stets zwei Papierstapel liegen. Wenn er einen Schreibstau hatte, hat er sich abgedreht und skizziert und umgekehrt», erklärt Betschart.

So entstand im Schatten seines geschriebenen Werks ein umfangreiches Bildwerk. Dieses blieb im Gegensatz zu Dürrenmatts weltberühmten Dramen und Texte weitgehend unbekannt. Nur ein paar Karikaturen und Buchillustrationen gelangten an die Öffentlichkeit.

Zeichnung eines Mannes der mürrisch schaut eine schwarze Brille, rotes Hemd und schwarzer Weste trägt.
Legende: Vielleicht während einer Schreibblockade entstanden: Selbstporträt von Friedrich Dürrenmatt. Friedrich Dürrenmatt. Selbstporträt. Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel, © CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Kein Bild verkauft

Über 1000 Bilder, Zeichnungen und Notizhefte umfasst die Sammlung des Centre Dürrenmatt Neuchâtel. Rund 700 weitere Bilder befinden sich in Privatsammlungen.

Das Centre Dürrenmatt Neuchâtel (CDN)

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Legende: © Centre Dürrenmatt Neuchâtel. Foto: Pino Musi

Das Centre Dürrenmatt liegt über dem Neuenburgersee im Vallon de l’Ermitage. Hier hat der Schriftsteller und Maler Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) von 1958 bis zu seinem Tod gelebt und gearbeitet. Das von Mario Botta erbaute Centre integriert das alte Wohnhaus von Dürrenmatt in seinen Bau.

Es wurde im Jahr 2000 eröffnet und hat den Zweck, das Bildwerk von Friedrich Dürrenmatt zu sammeln, zu erhalten und bekannt zu machen. Die Sammlung umfasst über 1000 Bilder und Notizhefte Dürrenmatts. 700 weitere seiner Bilder befinden sich in Privatsammlungen. Die Wiedereröffnung des renovierten CDN findet voraussichtlich am 24. Januar 2021 statt.

Dürrenmatt hat viele Bilder verschenkt – verkauft hat er kein einziges. Zeit seines Lebens bekam sie die Öffentlichkeit nur dreimal zu sehen: Seine Bilder wurden 1976 und 1985 in Neuenburg, 1978 in Zürich ausgestellt.

«Er sah das Malen als private Leidenschaft», so Betschart. Dass seine Bilder womöglich auf zu wenig Interesse stiessen, als dass er sie öffentlich zeigen wollte, dementiert sie: «Ich glaube, das war eine bewusste Entscheidung.

Dürrenmatt hätte die Gelegenheit gehabt weiter auszustellen. Es gab Anfragen von Museen aus dem In- und Ausland. Aber er hat es vorgezogen, die Bilder bei sich zu Hause zu haben oder zu verschenken.» Die Ausstellungsscheu war offensichtlich Konzept.

Malender Schreiber, schreibender Maler

«Ich muss beim Schreiben die Sätze fast in die Hand nehmen», hat Dürrenmatt einmal gesagt. «Ich male aus dem gleichen Grund, wie ich schreibe: weil ich denke.»

Er war in gewissem Sinne also ein malender Schreiber – oder ein schreibender Maler. Ein Denker mit Stift und Pinsel.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Kunst, 03.01.2021, 11:55 Uhr

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