«Irgendetwas ist immer», schmunzelt Johannes Muntwyler. Mit zwei Tassen Kaffee setzt er sich an einen Tisch vor dem Zirkuszelt. Eine Soloartistin habe sich zwei Tage vor der Premiere die Bänder gerissen. Doch das bereitet dem aktuellen Zirkusleiter nur kurzfristig einen Adrenalinschub. Schliesslich hatte Johannes Muntwyler lange Zeit, sich an solche Vorfälle zu gewöhnen: Seit 40 Jahren tourt der Circus Monti mittlerweile durch das Land.
Vom Lehrer zum Zirkusdirektor
Es war Johannes Muntwylers Vater, Guido Muntwyler, der das Zirkusvirus an seine Frau Hildegard und die drei Söhne weitergab. Guido Muntwyler war selbst neben dem Zirkusplatz in Wohlen im Kanton Aargau aufgewachsen. Stets hatte er dort mit den Zirkuskindern gespielt, wenn diese zu Gast waren. Besonders die Figur des Clowns faszinierte ihn zeitlebens.
Wichtig wurde diese Erinnerung im Leben von Guido Muntwyler erst später: Er war bereits Vater und ein angesehener Lehrer im Dorf war – trotzdem war er nicht ganz glücklich.
«Schule, Kinder, viele Sitzungen, eine Frau – ich fühlte mich irgendwie zerrissen und wünschte mir das Leben ganzheitlicher, wie auf einem Bauernhof.» Dies sagte er in den 1970er-Jahren gegenüber dem Schweizer Fernsehen. Damals eine aussergewöhnliche Einstellung zum Leben, die viel Kopfschütteln auslöste.
Die längste Auszeit ihres Lebens
Doch Guido Muntwyler war ein Freigeist. Er beantragte eine Auszeit von der Schule und trat mit den Kindern in der Manege des Circus Olympia auf: als Clown Monti. Seine Frau Hildegard Muntwyler, eine ausgebildete Lehrerin, unterrichtete die Zirkuskinder. Doch aus der Familien-Auszeit wurde ein Lebensprojekt.
Nach einigen Gast-Tourneen fragte sich die Familie Muntwyler 1984, wie es nun weitergehen soll. Johannes Muntwyler erzählt: «Ich war damals schon erwachsen, 21 Jahre alt. Es war ein Bauchentscheid. Die ganze Familie sass am Tisch, einige Freunde waren auch da. Und dann hat man gesagt: ‹Komm, wir machen es! Wir gründen einen Zirkus und machen ihn, wie wir ihn gut finden.›»
Freunde und Verwandte liehen Geld, und die Hypothek des Familien-Hauses konnte erhöht werden. Das war das Startkapital des Circus Monti. Der Druck war gross. «Wir hatten keine Ahnung von Zirkus. Weder vom Inhalt noch von der Technik oder Logistik. Am Anfang war es sehr schwierig. Mein Vater aber war ein gnadenloser Optimist», erzählt Johannes Muntwyler.
Viele aus dem Dorf unterstützen das Vorhaben damals und halfen mit, wo sie konnten. Geprobt wurde hinter dem Haus, die Mutter nähte Kostüme, Johannes Muntwyler übernahm die Technik, ein Bruder die Tiere, der Vater machte den Tourneeplan. 1985 gings auf die erste Reise.
Grosse Kunst mit knapper Kasse
«Die Familie hat enorm viel investiert: Tag und Nacht gearbeitet, in all den Jahren. Es war kein Spaziergang.» Johannes Muntwyler, der wohl den robusten Optimismus seines Vaters in den Genen hat, wird etwas nachdenklich, wenn er über die Anfangszeit spricht.
«Das Geld war knapp, manchmal zu knapp. Meine Mutter war für das Finanzielle verantwortlich. Das bereitete ihr schlaflose Nächte. Sie hat Löhne gemacht, Rechnungen gezahlt, musste zur Bank in den ersten Jahren, wenn Geld fehlte», erzählt Johannes Muntwyler.
Mutter Hildegard war es zu verdanken, dass die Finanzen nie ganz aus dem Lot gerieten. Oft pfiff sie Mann und die drei Söhne zurück und machte ihnen klar, dass es für ihre Wünsche nicht reicht. So hat sie eines der Prinzipien des Monti geschaffen.
«Rein unternehmerisch war für uns immer klar: Wir können uns nur das leisten, was wir uns leisten können. Das sage ich auch meinen Söhnen immer wieder. Der Zirkus gehört uns und das wollen wir auch in Zukunft so beibehalten. Das ist vielleicht etwas konservativ, aber ich glaube, damit sind wir gut gefahren», erklärt Johannes Muntwyler.
Ein Clown sorgte für Kopfzerbrechen
Das hat auch geholfen, als ausgerechnet das erfolgreichste Programm dem Zirkus massive Probleme bescherte. Clown Dimitri, Zirkusmensch und Theatermensch, gestaltete 1998 das Programm des Zirkus: eine ausverkaufte Tournee, die mit dem Prix Walo geadelt wurde. So beschloss man, die Dimitri-Show im nächsten Jahr nochmals zu spielen, aber in anderen Städten.
«Das war ein Riesenflop. Und hätte uns damals fast das Genick gebrochen», erzählt Johannes Muntwyler. «Es hat sehr wenig gefehlt und wir hätten aufhören müssen. So ist es immer mal wieder rauf und runter gegangen mit dem Zirkus.»
Zwei ältere Herren mit weissen Dächlikappen, weissen Socken und diagonal umgehängten Handtaschen flanieren durch den Monti-Wagenpark und mustern alles akribisch. «Wahrscheinlich Zirkusfans», schmunzelt Johannes Muntwyler. Zielstrebig nähern sich die beiden dem Direktor und loben die Sauberkeit. Die rotweissen Wagen sind blitzblank geputzt. Einige haben Geranien an den Geländern. Kein Schnipsel liegt im Gras.
«Ja, wir haben gerne Ordnung», meint Johannes Muntwyler. Obwohl er keine Zeit hat, lässt er sich in ein Gespräch verwickeln, gibt Auskunft, lässt die druckfrischen Poster des neusten Programms holen. Zufrieden ziehen die beiden wieder ab.
Zirkus ist Teamwork
Mit den Menschen respektvoll umzugehen, sei eines der Rezepte, die dazu geführt hätten, dass der Monti heute als gesundes Unternehmen dastehe, zeigt sich Zirkusleiter Johannes Muntwyler überzeugt: «Zirkus ist enorm viel Arbeit. Unsere Leute geben immer so viel. Das macht den Erfolg des Circus Monti aus.»
Rund 70 Mitarbeitende beschäftigt der Monti jedes Jahr. «Wichtig ist, dass wir als Familie Muntwyler nicht einfach dasitzen und Direktion spielen. Man kann viel verlangen von Menschen, wenn man selbst vorausgeht. Im Normalfall gehören wir zu den letzten am Abend auf dem Platz und zu den ersten am Morgen. Ich denke, das ist auch gut so und darum sind die Leute auch bereit so viel zu geben. Sie sehen: Alle ziehen mit.»
Inzwischen klingt aus dem Zirkuszelt Musik. Menschen laufen über den Platz, einige Artistinnen wärmen sich vor dem Zelt auf. Im Gastrozelt reihen die Zirkuskinder Gummibärchen auf Holzspiessen. Bei Johannes Muntwyler läutet das Telefon: Er sollte zur Probe.
Noch einmal will es der Zirkusleiter wissen und steht im 40-Jahre-Jubiläums-Programm selbst auf der Bühne. Jahrelang war Johannes Muntwyler Jongleur und gleichzeitig technischer Leiter des Monti. Nun gibt er eine Tellernummer zusammen mit zwei seiner drei Söhne, die alle im Zirkus tätig sind.
Danach will er die Familien AG definitiv an seine Söhne abgeben. «Ich komme gleich – fangt mal an», sagt der Zirkusdirektor ins Telefon zu seinem jüngeren Bruder. Dieser ist zwar nicht mehr im Zirkus dabei, verantwortet aber das diesjährige Programm. Auch ein weiterer Bruder von Johannes Muntwyler stieg irgendwann aus dem Zirkusgeschäft aus.
Ein Familienbetrieb braucht Konsens und Kompromiss
Ist es möglich, dass man sich da als Familie nicht zerstreitet? Bei so viel Herzblut und Geld, das auf dem Spiel steht? Mit Brüdern und Söhnen, Ehefrauen, die ausgestiegen oder dazugekommen sind?
«Wir sind uns nicht immer einig. Ich werde 60 und habe nicht die genau gleichen Ideen wie meine Söhne. Die haben noch mehr Power als ich. So wie ich es früher auch hatte. Wir diskutieren viel in der Familie und finden immer wieder einen Konsens oder einen Kompromiss», erklärt Johannes Muntwyler. Das ist wohl eine der grössten Leistungen der Familie Muntwyler neben dem Zirkus, der inzwischen als gesundes Unternehmen dasteht.
Ist er denn nun ein reicher Unternehmer geworden, als Zirkusdirektor? Das nicht, sagt Johannes Muntwyler. Aber er müsse nicht jedes Mal überlegen, ob er es sich mal leisten könne, in einem Restaurant zu essen.
Dann rennt er sich entschuldigend zum Zelt. Dort drehen schon Teller: schwindelerregend viele auf bedrohlich dünnen und langen Stangen. Scherben fliegen. Johannes Muntwyler rennt hin und her, hat Spass, schwitzt. Den Zirkus zu gründen vor 40 Jahren, nein, das habe er nie bereut, schafft er noch zu sagen.