Aline Kominsky-Crumb war in der männerdominierten Comicszene eine Ausnahmeerscheinung. Nun ist die Zeichnerin und Malerin mit 74 Jahren gestorben – sie erlag einem Bauchspeicheldrüsentumor. Wieso die feministische Zeichnerin bis heute eine Wegbereiterin ist, sagt die Leiterin des Basler Cartoonmuseums.
SRF: Was machte Aline Kominsky-Crumb so wichtig?
Anette Gehrig: Sie hat als erste Frau autobiografische Comics veröffentlicht – etwa über ihre ungewollte Schwangerschaft und wie sie das Kind zur Adoption freigab. Das war in den 70er-Jahren in den USA ein Tabu.
Wie in allen Künsten war das Frausein damals unsichtbar. Aline Kominsky hat Themen der Identität, Beziehung, das Teenagerdasein, die Veränderung des Körpers humorvoll thematisiert. Sie ist bis heute eine wichtige Referenzkünstlerin.
Sie haben 2016 eine Ausstellung von Aline Kominsky-Crumb und ihrem Mann Robert Crumb kuratiert. Wie erlebten Sie die Künstlerin?
Aline war eine äusserst energievolle und engagierte Frau mit schwarzem Humor. Wir haben im Vorfeld der Ausstellung sehr intensiv zusammengearbeitet und ich konnte sie mehrmals zu Hause in Südfrankreich besuchen.
Wie hatte sie sich in der damals männerdominierten Comicszene durchgesetzt?
Der Initialmoment war die Gründung des ersten Frauen-Comicmagazins «Wimmen’s Comix» zusammen mit Trina Robbins. Später gründete sie das eigene «Bunch's Power Pak Comics» und schliesslich zusammen mit Diane Noomin «Twisted Sisters». Mit den Publikationen hat sie ihre Welt erschaffen und einen eigenständigen Weg verfolgt.
Comics von Aline Kominsky-Crumb
Sie machte in ihren Werken keinen Hehl aus ihrer wilden Vergangenheit mit Alkohol, Drogen und Sex.
Das war ein Thema der Underground-Bewegung dieser Zeit. Sie war da sehr direkt und hat das Ausloten der eigenen Grenzen, ihres Körpers und das Entdecken der Sexualität nicht zurückgehalten. Aber sie hat es zusammengebracht mit der Fragilität einer jungen Frau, die in eine patriarchale und zunehmend ökonomisierte Welt hineinwächst.
Das Künstlerpaar hat auch den Alltag in Comics verarbeitet. Wie sah das aus?
Der Lebensalltag von Frauen war damals ausgeblendet. Die Crumbs haben die Haushaltsführung, das Spiel als Paar, ihre Sexualität, ihre Eigenständigkeit und das Beziehungsleben thematisiert. Zuletzt haben sie während der Pandemie zusammen einen Comic gezeichnet.
Sie haben die beiden als «ungleiches Paar» betitelt, mit zwei «völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten und Handschriften».
Sie haben schon in den 70ern in San Francisco zusammen einen Comic initiiert und bis heute immer zusammen gezeichnet. Später auch mit ihrer Tochter Sophie, die auch als Künstlerin arbeitet.
Die Kooperationen haben schön gezeigt, wie unterschiedlich ihre Zeichenstile waren: Aline war eine sehr spontane Person, hat Themen expressionistisch dargestellt und sprudelte vor Ideen. Robert Crumb ist eher der zurückhaltende, elegante Zeichner. Beide sind sie auf ihre Art unglaubliche Geschichtenerzähler.
Hat es Aline Kominsky-Crumb geschafft, aus dem Schatten ihres Mannes zu treten?
Auf jeden Fall! Sie wurde in der Comicwelt zu einer hoch akzeptierten Künstlerin, jetzt müssen noch mehr Ausstellungen von ihr gezeigt werden. Viele ganz junge Künstlerinnen beziehen sich heute auf Aline. Ihre Themen – die Identität der Frau in der Welt – werden uns noch sehr lange beschäftigen.
Das Gespräch führte Jonas Wydler.