Man tritt durch die Eingangstüre im Museum im Bellpark Kriens – und man ist sofort ihr Objekt. Sabine Weiss blickt jeden Besucher direkt an. Ihr Gesicht wirkt freundlich, konzentriert. In ihren Händen hält sie die Kamera fest.
Angefangen habe alles in Thalwil, erzählt die heute 92-jährige Fotografin lächelnd. Schon damals hat sie sich für Fotografie interessiert, als sie dort Au-Pair-Mädchen gewesen ist. Nach neun Monaten Kinderhüten habe sie gewusst: sie will Fotografin werden.
Paris, der Liebe wegen
In Genf macht Sabine Weiss beim angesehenen Foto-Atelier Boissonnas ihre Ausbildung, erhält 1945 ihr Diplom. Wenige Jahre später zieht sie nach Paris, der Liebe wegen. Sie heiratet mit 26 Jahren den amerikanischen Maler Hugh Weiss – die Liebe ihres Lebens.
Die beiden bewohnen ein einfaches Atelier im Westen von Paris. Die erste Dunkelkammer von Sabine Weiss ist ein Bretter-Verschlag unter der Treppe. Will sie Bilder entwickeln, muss sie zuerst auf den Hof raus – denn fliessendes Wasser gibt es nur dort.
Sie sieht die Qual und das Glück
Im Museum Bellpark ist diesen Jahren ein ganzer Raum gewidmet. Dann nebenan: wieder Paris, eine Marktverkäuferin im Kundengespräch, ein Ladenbesitzer drapiert Damenschuhe im Schaufenster, ein Mann rennt über die Strasse.
Sabine Weiss verwandelt den französischen Alltag in Poesie, entlockt dem Gewöhnlichen einen Zauber. Die Fotografin sagt, sie möge die Menschen, sie sehe ihnen ihre Qualen, aber auch ihr Glück stets an.
Deshalb seien ihre Bilder so, wie sie sind. Aber als humanistische Fotografin, will sie sich nicht verstanden wissen.
Starke, selbstbewusste Frauen
Steigt man im Museum Bellpark die Treppen in den ersten Stock hoch, weiss man allerspätestens, was Weiss mit handwerklich, mit «artisan» meint. Neben ihrer Reportage-Fotografie hat sie ihr Geld mit Werbe- und Mode-Fotografie verdient.
Yves Saint-Laurent inmitten von bunt gekleideten Mannequins. Sie schiesst zahlreiche Kampagnen, auch für grosse Modemagazine. Was auffällt: Den abgebildeten Kleider sieht man die Zeit an, den Fotografien selbst nicht. Weiss zeigt schon 1958 starke, selbstbewusste Frauen, mit lachenden Mündern und Schalk in den Augen.
Jägerin des Augenblicks
«Die Bilder entstanden immer zackzack», meint Sabine Weiss. Interessante Momente brauchen eben nicht viel Zeit. Weiss ist die erfolgreiche Jägerin des Augenblicks, auch wenn das Sujet einen grossen Namen trägt.
Sie fotografierte die Schauspielerin Romy Schneider beim Schminken, den Dichter André Breton im üppig ausgestatteten Wohnzimmer und den Bildhauer Alberto Giacometti im Chaos seines Ateliers.
Die Porträts zeugen alle von grossem Vertrauen zwischen den Künstlern und der Fotografin. Man betrachtet das Bild und fühlt sich, als sei man im Moment des Fotografierens, Sabine Weiss. Das ist grosses Können.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 21.11.2016, 7:20 Uhr.