Es ist eines der schönsten Häuser der Stadt Lausanne: Das Herrenhaus namens L'Hermitage liegt auf einem Hügelzug über der Lausanner Altstadt. Der Blick auf den Lac Léman geht nicht weit – Frankreich ist wegen des winterlich trüben Wetters nicht zu sehen.
Im Haus hängt ein Bild, das ebenfalls Wasser zeigt, bei dem der Horizont in Wolken übergeht. «Das britische Reich» heisst dieses Werk – ein Reich so gross, dass es keine Grenzen hat. Ein Sinnbild für die Epoche unter Königin Viktoria, eine Blütezeit Grossbritanniens.
Eine Stil-Insel
Zwischen 1830 und 1900 entwickelte sich die dortige Kunstszene besonders vielfältig. Kurator William Hauptman zeigt sich begeistert: «Die Originalität und Diversität der Bilder ist absolut faszinierend», schwärmt er.
Was macht die englische Malerei so besonders? Hauptman führt das unter anderem auf die geografische Lage Grossbritanniens zurück: «Die britischen Künstler sind als Inselbewohner einen anderen Weg gegangen. Sie haben einen eigenen Stil entwickelt, gebunden an ihre Traditionen, ihre Literatur und ihre Heimat – ein früher Brexit gewissermassen.»
Motive aus dem Alltag
Landschaftsbilder hängen neben Szenen aus dem Alltag: eine Post in London kurz vor der Schliessung beispielsweise. Bilder, die davon zeugen, dass der Mittelstand in der industriellen Revolution nach Sujets aus seinem Alltag verlangte.
Besonderes Augenmerk verdient das Gemälde «Nichts Neues vom Meer» von Frank Holl. Auftraggeberin dieses Werks war Victoria persönlich. Die Königin hatte ausgerechnet ein Bild bei jenem Maler bestellt, der die Kehrseite dieser Blütezeit auf die Leinwand brachte: Armut und soziale Ungleichheit. Das Bild zeigt eine arme Fischerfamilie, die damit leben muss, dass der Mann wohl nicht zurückkehrt von der See.
Eine Königin, die einem Künstler derart freie Hand lasse, wäre in anderen Ländern wohl kaum möglich gewesen, sagt Kurator Hauptman.
Höhepunkt der Ausstellung sind die Landschaftsbilder von William Turner, der die Moderne vorwegnahm. Für Kurator Hauptman ist Turner ein Ausnahmekünstler: «Er war ein Genie, seiner Zeit im 19. Jahrhundert weit voraus.»
Perfekte Kulisse
Die Ausstellung in der Hermitage von Lausanne schlägt einen stimmigen Bogen von Turner bis zu Whistler – einem anderen wichtigen Maler dieser Epoche.
Sie ist stilistisch so vielfältig, dass sie manchmal etwas überladen wirkt. Dass es den Ausstellungsmachern dennoch gelingt, die viktorianische Epoche zu neuem Leben zu erwecken, hat viel mit dem Lausanner Herrenhaus zu tun. Auch dieses stammt aus jener Zeit und bietet die perfekte Kulisse.