Für ihn reist sogar die New York Times ins kleine Luzern: Ugo Rondinone. Denn für eine Retrospektive im Luzerner Kunstmuseum kehrt der Künstler in die Heimat zurück. International als Kunststar gefeiert, ist er in der Schweiz wenigen ein Begriff.
Das will die Ausstellung «Cry me a river» ändern. Der Name bezieht sich auf die Aids-Krise, von der Rondinone selbst betroffen war. «1989 habe ich meinen ersten Freund an Aids verloren, als ich in Wien studierte», erzählt er.
Schwul: So what?
Es sei ihm wichtig gewesen, sich als schwuler Mann in der Kunst zu exponieren. Deshalb schuf er Regenbogenschriftzüge – einer davon hängt jetzt an der KKL-Fassade.
Mit seiner sexuellen Orientierung ist Rondinone immer offen umgegangen. Ob er Anfeindungen erlebt habe? «Nicht wirklich. Anders behandelt wurde ich in meiner Kindheit nicht wegen meines Schwulseins, sondern weil ich Secondo war», erinnert sich der bald 60-Jährige.
Kunst im Kloster
Als Kind italienischer Gastarbeiter ist Rondinone in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, in Brunnen (SZ). Jeden Sommer fährt die Familie zurück nach Matera – einstiger Schandfleck Italiens, heute Sehenswürdigkeit. Die verschiedenen Landschaften – Innerschweiz und Süditalien – haben ihn geprägt, betont er.
Schon als Primarschüler zeigt Rondinone einen Sinn für Kunst. Er darf ins Kloster, zum Kunstunterricht bei Schwester Raphaela. Die Liebe zur Kunst war es auch, die ihn später das Lehrerseminar abbrechen liess, um sich in Florenz seiner Leidenschaft zu widmen. Es folgte eine Ausbildung in Wien und dann der Karrieredurchbruch in New York.
Steinriesen im Big Apple
30 Jahre lang hat Rondinone in New York gelebt. Dort hat er seinen Mann – den verstorbenen Künstler John Giorno – kennengelernt. Bis heute verbringt er jeden Sommer in Long Island und malt Aquarelle.
2013 wurde er auserkoren, auf einem der prominentesten Plätze New Yorks auszustellen – wie einst Jeff Koons oder Louise Bourgeois. Neun Steinriesen zierten den Rockefeller Plaza. 15 Tonnen schwer, sechs bis acht Meter hoch.
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Bild 1 von 2. Human Nature, April – Juli 2013. Kolosse aus Blaustein, Stahl und Beton: Konzipiert als Kunst im öffentlichen Raum, hier am Rockefeller Plaza in New York ... Bildquelle: IMAGO / ZUMA Press Wire.
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Bild 2 von 2. figures, 2023. ... stehen Ugo Rondinones «figures» jetzt auch im lichtdurchfluteten Oberlichtsaal des Luzerner Kunstmuseums – in einer neu gefertigten Version. So passen sie gerade noch hinein. Bildquelle: Kunstmuseum Luzern / Stefan Altenburger.
Die «Stonefigures» sind nun in Luzern zu sehen – wenn auch in abgespeckter Form. Mit einem Kran mussten sie in den vierten Stock gehievt und geschickt im Raum verteilt werden, damit es statisch aufgeht.
Rondinone mag das Extreme. «Er schafft ein Spektakel, aber mit stillen Arbeiten. Sie haben etwas Extremes und Erholsames zugleich», sagt Fanni Fetzer, Direktorin des Kunstmuseums Luzern.
Stilistisch festlegen? Nein danke.
Ugo Rondinones Werke finden sich in den grossen Museen und auf Plätzen rund um die Welt.
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Bild 1 von 2. seven magic mountains, 2016. Ugo Rondinones «seven magic mountains» in Nevada sind ein Publikumsmagnet – sogar mit eigener Website. Bildquelle: Epa / Mike Nelson.
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Bild 2 von 2. Moonrise east march, 2005. Rondinones Skulpturenköpfe waren neben Japan auch im Garten des Louvre in Paris, in Moskau und London zu sehen – jeder Kopf steht für einen Monat. Bildquelle: AP Photo / Koji Sasahara.
Seien das die neon-bunten Steinsäulen in der Wüste Nevadas, groteske Skulpturenköpfe an der Yokohama Triennale in Japan oder in Aluminium gegossene 2000-jährige Olivenbäume, etwa auf dem Paradeplatz.
Was seine Kunst kennzeichnet? Seine Vielseitigkeit. «Ich bevorzuge das Risiko», so Rondinone. Ihm ist es stets ein Anliegen, dass seine Kunst zugänglich ist. Getreu seines inoffiziellen Mantras: «If it isn’t easy, it’s shit.»
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Bild 1 von 3. sechstermaizweitausendundvierundzwanzig, 2024. Mit der Ausstellung «Cry Me a River» kehrt Ugo Rondinone für eine Retrospektive in seine Heimat zurück. Für die Ausstellung realisierte er zwei neue Gemälde, die den Blick von Brunnen (seinem Geburtsort) aus auf den Vierwaldstättersee bei Tag und bei Nacht einfangen. Bildquelle: Kunstmuseum Luzern / Studio Rondinone.
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Bild 2 von 3. the crater, 2016. Seine Liebe zum Material steht auch in Bezug zur legendären «Innerschweizer Innerlichkeit», für die traditionelle Materialien wie Bronze, Keramik oder Stein besonders wichtig waren. Bildquelle: Kunstmuseum Luzern / Stefan Altenburger.
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Bild 3 von 3. your age, and my age and the age of the sun, 2013, ongoing. Ein raumfüllendes Werk besteht aus etlichen Sonnenzeichnungen von Kindern aus der Zentralschweiz. Wenn Rondinone über die Beteiligung der Kinder an seiner Arbeit spricht, wirkt er aufrichtig gerührt. Bildquelle: Kunstmuseum Luzern / Stefan Altenburger.
Man brauche keine Kunstkennerin zu sein, um seine Arbeit zu verstehen, schreiben Journalisten. Pikierter Rondinone? Fehlanzeige.
Obwohl er zur A-Liga der Gegenwartskunst gehört, bleibt Rondinone bescheiden, spricht sanft, schwelgt in Erinnerungen. Und wenn er darüber redet, dass 2000 Kinder sich an einer seiner Arbeiten in Luzern beteiligt haben, wirkt er aufrichtig gerührt. Ein demütiger Superstar.