Sie führte ihr Leben, als gelte es, einen Abenteuerroman zu schreiben. Elizabeth «Lee» Miller wurde 1907 in Poughkeepsie, New York geboren und starb 70 Jahre später als Lady Penrose im englischen East Sussex. Dazwischen liegt ein selbstbestimmtes Leben voller Brüche.
In den 1920er-Jahren beginnt sie ihre Karriere als Fotomodell gleich mit einem Cover für die Vogue. Lee Millers androgyne Schönheit ist gefragt, bis eine Aufnahme, die der berühmte Edward Steichen von ihr machte, für eine Damenbinden-Werbung benutzt wird. Ein Skandal, der Lee Miller den Weg in eine neue Zukunft öffnet.
Kosmopolitin mit eigenem Kopf
Sie reist mit dem Schiff nach Paris und angelt sich Man Ray – als Fotografie-Lehrer und Liebhaber. Lee Miller wird zu einer Expertin der Dunkelkammer, zu Man Rays Muse und Assistentin. Noch heute streiten Expertinnen und Fotohistoriker, wer welche Aufnahmen gemacht hat.
Miller arbeitet als Modefotografin, kehrt nach New York zurück, baut in der Depression ein eigenes Fotostudio auf, probiert ein paar Jahre das Leben als reiche Gattin in Ägypten aus und landet 1939 in London.
Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, bieten sich Lee Miller als Fotografin neue Chancen. Sie ergattert Aufträge, weil die männlichen Kollegen eingezogen wurden.
1944 wird auch Lee Miller als Kriegsberichterstatterin akkreditiert und berichtet für die Vogue von der Invasion der alliierten Truppen in Europa . Ihre Reportagen und Fotos dokumentieren das befreite Paris, den Kampf um das Elsass und die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau.
Ironie der Geschichte: Ihr bekanntestes Bild aus dem Zweiten Weltkrieg stammt nicht von Miller selbst, sondern von ihrem Reporterkollegen David Scherman. In Hitlers Münchner Wohnung sitzt Lee Miller nackt in der Badewanne und schrubbt sich den Rücken.
Keine unparteiische Journalistin
Typisch Miller: In ihrer Arbeit bezieht sie klar Position. Die Deutschen sind in ihren Texten bloss «the huns» – «die Hunnen». Anders als etwa der berühmte Robert Capa verurteilt sie Kollaborateurinnen in Frankreich und auch die nach der Befreiung verprügelten Lagerwächter .
Ihre Bilder zeugen aber auch von Sensibilität, sagt Katharina Menzel-Ahr. Die Kunsthistorikerin hat Lee Millers Kriegsbilder als erste wissenschaftlich untersucht. Die vielen toten Opfer auf Leichenbergen zeigt Lee Miller als Individuen und die Überlebenden als Zeugen. Wobei die Vogue ihr Foto für die Publikation so beschnitt, dass die Gesichter der Männer nicht zu sehen waren.
Traumatisierte Rückkehr
Miller versuchte nach dem Krieg wieder im zivilen Leben Fuss zu fassen. «Wer es nicht schaffte, bekam einen Whiskey. Wer es immer noch nicht schaffte, bekam noch einen», so Lee Millers Enkelin Ami Bouhassane über die zeitgenössischen Problemlösungen im Podcast «The Great Women Artists» von Katy Hessel (Episode 5).
Lee Miller heiratete, bekam ein Kind und zog sich in ihr Privatleben aufs Land zurück. Das ist eine mögliche Interpretation. Eine andere: Lee Miller erfand sich noch einmal neu als Köchin und Gastgeberin mondäner Diners für Künstlerfreunde.
Perfekte Projektionsfläche
Die einstige Fotografin starb 1977 als Gourmetköchin. Erst nach Lee Millers Tod fand ihr Sohn den Nachlass auf dem Dachboden und entdeckte seine Mutter neu.
Mit den «Lee Miller Archives» bemüht sich die Familie um die Wiederentdeckung der Pionierin und hat damit derzeit viel Erfolg. Sogar Hollywood hat angebissen: Kate Winslet wird Lee Miller spielen.
Kein Wunder: Lee Miller ist die perfekte Projektionsfläche. Dass diese weibliche Heldin einen Preis für ihr selbstbestimmtes Leben zahlte, geht dabei gern vergessen.