Jaques Tardi entwirft seine Kulissen immer mit grosser Sorgfalt. Sei es das Paris der Zwischenkriegszeit, seien es die Schützengräben von Verdun.
Der Zeichner recherchiert endlos, um historisch korrekte Bilder zu zeichnen: Panzer- oder Automodelle, Reklameschilder, Kinoposter, historische Uniformen. Das alles vermittelt ein Bild einer historischen Realität, in die man eintauchen kann.
All dies trifft auch auf den neuesten Band der «Stalag IIB»-Reihe zu. Diese handelt von dem, was Tardis Vater René im Zweiten Weltkrieg erlebte. Er war als Gefangner in einem deutschen «Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager» – kurz Stalag – interniert.
Die Fragen bleiben
«Mein Vater hatte mir seine Erlebnisse immer nur in Bruchstücken erzählt. Ich bat ihn, alles aufzuschreiben. Mein Vater hat das gemacht, in ein paar Schulheften in kleiner Schrift.»
Tardi las die Aufzeichnungen seines Vaters, musste jedoch zuerst einen anderen Comic-Band fertigstellen. «Dann ist mein Vater gestorben und ich hatte all diese Fragen, die ich ihm eigentlich stellen wollte», sagt Tardi.
Tardi sucht auf eigene Art nach Antworten, mit einem Comic, einer Recherche in eigener Sache. Darum setzt er eine Jungenfigur in der Geschichte ein, die dem Vater all die offenen Fragen stellt.
Den Vater verstehen
Die ersten beiden Bände über den Stalag IIB handeln von der Gefangennahme des Panzerfahrers René Tardi 1940, von den fünf Jahren im Gefangenenlager in Pommern, von der Rückkehr zu Fuss nach Frankreich.
Bei der Arbeit am Comic habe er angefangen, gewisse Verhaltensweisen seines Vaters und anderer französischer Kriegsgefangener zu verstehen, erzählt Tardi: «Mein Vater war wütend auf die ganze Welt.»
Man müsse sich das Gewicht mal vorstellen, das auf ihm und seinen Schicksalsgenossen lastete: «Fünf Jahre Kriegsgefangenschaft, nach der Rückkehr empfangen als Verlierer. Fünf Jahre im Stalag ohne Alkohol, dann plötzlich zuhause, an Hochzeiten, an Festen – mein Vater hat sich regelmässig komplett betrunken und wollte dann mit allen Streit anfangen.»
«Ich habe mich ins Zeichnen retten können»
Ein wütender Vater, eine kränkelnde Mutter, die ihren Sohn für ihren Zustand verantwortlich macht: Der junge Jacques Tardi hatte keine besonders innige Beziehung zu den Eltern: «Ich habe mich ins Zeichnen retten können. Ich war ein Einzelkind, meine Mutter konnte keine weiteren Kinder kriegen, ich hatte nichts zu tun ausser Zeichnen. Zum Glück.»
Dieser neue dritte Band erzählt Zeitgeschichtliches und Autobiografisches parallel, mit der für Tardi typischen, präzisen Erzählweise. Er erzählt von einem Krieg, der lange her ist.
Ist es notwendig, ihn immer wieder zu erzählen? «Ja, es ist notwenig. Aber ob das die Jungen von heute noch interessiert, weiss ich nicht» sagt Tardi.