Eine schmale Metallrinne begrüsst die Besucherinnen und Besucher in der oberen Eingangshalle. Gefüllt mit schimmernd weissem Quarzsand, in den der Abdruck eines Autoreifens eingedrückt ist. Auch der Pneu selbst steht in der Metallrinne. Doch ist die Spur, die er im Quarzsand hinterlassen hat, das Wesentliche.
Spuren sind das Essentielle in den Arbeiten Roman Signers. Eigentlich besteht sein ganzes Werk aus Spuren. Spuren, die seine Aktionen geschaffen und hinterlassen haben.
Ein Kessel wird zur mechanischen Putzfrau
«Spuren» heisst denn auch die Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen. Es ist keine grosse Retrospektive, wie manche Kunstfreunde sie sich zum 80. Geburtstag Signers erhofft haben mögen.
Es ist eine Ausstellung, die auf Spurensuche geht. Und die, zumindest mit einem Teil der Arbeiten, weit zurückführt, in das Jahr 1980, als das Kunstmuseum St. Gallen geschlossen war und Roman Signer die schlafenden Säle einen Sommer lang als Labor nutzte.
Er habe in den leeren Sälen vieles ausprobieren können, was sich unter freiem Himmel nicht gut machen liess, erzählt Roman Signer. Der Künstler ist im Appenzell geboren, seit den 1970er-Jahren lebt er in St. Gallen.
Ganz allein im menschenleeren Museum experimentierte er mit Wassereimern, Fässern, Balken, Sandbergen. Er liess Wasserbomben vom Dach sausen und hängte in einem der leeren Säle einen bis oben hin gefüllten Wassereimer auf, den er dicht über dem staubigen Boden pendeln liess. Eine «mechanische Putzfrau» nennt er die Aktion im Spass.
Mit dem Mietvelo vom Bahnhof
Eine Filmaufnahme zeigt diese Putzfrau in Aktion: Das Wasser schwappt nur so aus dem Eimer, peitscht den Staub auf und lässt in der Schwungbahn des Eimers eine blanke Schneise entstehen. Zwölf Super-8 Filme entstanden in Signers Sommer im verwaisten Museum inmitten des Stadtparks. Zwölf Filme, die Aktionen in den schlummernden Sälen zeigen.
Oft waren es die Räume, die architektonischen Strukturen, die ihn inspirierten. Die Materialien, die er für seine Aktionen brauchte, brachte er mit: Zu Fuss oder mit einem Fahrrad, das er am Bahnhof mietete. Wie auch jenes Velo, mit dem er durch die obere Eingangshalle fuhr und dabei im Fahren ein gelbes Band um die Schmucksäulen wickelte.
Reflexion über die Zeit
Jetzt steht dort oben neben den Säulen wieder ein Velo, das gelbe Band ist auch da. Die Ausstellung zeigt Spuren jener Arbeiten, die im Sommer 1980 in den Räumen des Kunstmuseums entstanden.
Sie vereint Materialien und Requisiten, die Signer benutzt hat, Filmaufnahmen, die damals entstanden sind. Sie zeigt auch ein grösseres Konvolut an Skizzen aus der Sammlung des Museums und aus einer umfassenden Schenkung aus der Sammlung Ursula Hauser.
Neben diesen historischen Arbeiten präsentiert die Ausstellung auch einige neue und neueste Werke. Zum Beispiel die Installation «Blaues Fass: Schneise im Feld», die 1999 für die Biennale in Venedig entstand, und die ebenfalls als Schenkung der Sammlung Ursula Hauser an das Kunstmuseum St. Gallen gelangte.
Die Arbeit besteht aus einem Feld dünner, aufrecht stehender Holzstäbe, in das ein blaues, mit Wasser beschwertes Fass gerollt wurde. Die Aktion, sekundenkurz nur, wurde filmisch dokumentiert. Das Ergebnis ist ein dreidimensionales Bild, das an eine stille Schilflandschaft erinnert.
Es geht um die Veränderung
Auch wenn bei der Aktion, mit der die Installation im Museum eingerichtet wurde, kaum jemand dabei war, ausser einem Kamerateam und Museumsmitarbeitern, so ist das performative Element doch wichtig für Roman Signer. «Eine Kraft macht die Skulptur, das ist wichtig», sagt er.
Es geht ihm nicht darum, Dinge so zu arrangieren, dass sie einen bestimmten Gesamteindruck erzeugen. Sondern immer um das Moment der Zeit, das mitschwingt, wenn ein Material, ein Arrangement sich in einer Aktion verändert.
Seine Arbeiten nennt er auch Zeitskulpturen: Sie tragen Spuren von Bewegungen, Spuren der Zeit, Spuren einer physikalischen Grösse, der wir alle unterworfen sind, ohne dass wir sie je greifen könnten.