Echt oder doch nicht? Was ist real, was künstlich? Der Palazzo Bonaparte in Rom widmet sich in der Ausstellung «Sembra Vivo» dem Hyperrealismus und dessen wichtigsten Vertreterinnen und Vertretern. Eine irritierende und zugleich faszinierende Ausstellung.
Realistische Abbilder gegen Fake News
Hautporen, Mimikfalten und minutiös eingearbeitetes echtes Haar: Die Skulpturen im Palazzo Bonaparte in Rom scheinen echte Menschen zu sein, sie sind es aber nicht. Eine Retrospektive mit über 40 Werken der wichtigsten zeitgenössischen Kunstschaffenden widmet sich derzeit dem Hyperrealismus.
Die Kunstform entstand Anfang der 1970er-Jahre und steht für die getreue Inszenierung des menschlichen Wesens. «Als in den 1970er- und 80er-Jahren Fake News zu provozieren begannen und als eine Art Waffe missbraucht wurden, um Macht zu demonstrieren, sagten sich einige Künstler: «Wenn die Medien die Wahrheit leugnen, werden wir uns darum kümmern», so Nicolas Bellario, einer der Co-Kuratoren der Ausstellung im Gespräch. «Sie schufen Werke, die uns in den Alltag zurückholen und uns ins Detail sezieren.» Dahinter stecke mehr als blosse Virtuosität.
Detailgetreu bis in die kleinste Falte
Auf zwei Stockwerken werden im Palazzo Bonaparte zurzeit unterschiedliche Techniken des Hyperrealismus gezeigt. Zum einen gibt es Figuren, in Form gegossen und dann bemalt, als eine simplere Variante des Hyperrealismus.
Der Palazzo zeigt aber auch neuere Techniken wie Abdrücke an menschlichen Modellen, die danach in mehreren Silikonschichten aufgebaut und bemalt werden. Diese aufwendigen Arbeiten zeichnet den menschlichen Körper bis ins kleinste Detail nach.
Mit dieser Technik schuf der australische Künstler Sam Jinks etwa eine ältere Frau in einem weissen Nachthemd, mit zusammengebundenem grauen Haar. Sie trägt ein Neugeborenes im Arm. Die Frau wirkt zerbrechlich, müde, aber auch stark und beschützend – so, als ob sie echt, ein richtiger Mensch wäre. Eine Irritation, die erst beim genauen Hinschauen zeigt, dass es sich nicht um eine reale Person handelt.
Irritation und Provokation
In der Ausstellung trifft man auch auf Andy Warhol, in Grossform auf einem Sockel. Der Glitzer in seinen Augen, die Falten im Gesicht, das Haar auf seinen Fingern – alles ist bis ins kleinste Detail hinein erfasst. Ein Spannungsfeld tut sich auf zwischen Arroganz und Selbstbewusstsein, zwischen Verletzlichkeit und Stärke.
«Sembra Vivo» provoziert, irritiert und fordert. Die Ausstellung entführt die Besucherinnen und Besucher in die Welt des Hyperrealismus und will ein Bewusstsein und Interesse für die generell nicht so bekannte Kunstform fördern. Zudem soll die Retrospektive einen Überblick vermitteln über die wichtigsten Arbeiten und Techniken der letzten Jahrzehnte.