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BAK-Direktorin im Interview Isabelle Chassot: «Ich habe die Schweiz neu entdeckt»

Als Chefin des Bundesamtes für Kultur (BAK) hat Isabelle Chassot einige kulturpolitischen Pflöcke eingeschlagen. Welche Hürden hat sie in dieser Zeit gemeistert, und wo lief nicht alles rund?

Bevor Chassot wieder in die Politik wechselt und im Ständerat Platz nimmt, blickt sie zurück auf die Kulturpolitik des Bundes während der letzten acht Jahre.

Isabelle Chassot

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Isabelle Chassot, geb. 1965, ist eine Schweizer Politikerin (Die Mitte, vormals CVP). Von 2006 bis 2013 war sie Staatsrätin und präsidierte während dieser Zeit die Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK).

Von 2013 bis 2021 war sie Direktorin des Bundesamtes für Kultur (BAK). Im Herbste 2021 wurde die Anwältin für den Kanton Freiburg in den Ständerat gewählt.

SRF: Am Anfang Ihrer Amtszeit haben Sie sich nach dem knappen Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative besorgt über die Spaltung der Gesellschaft geäussert. Sie sagten, gerade Kunst und Kultur seien wichtig als Kitt der Gesellschaft. Heute ist die Spaltung grösser denn je. Isabelle Chassot, sind Kunst und Kultur doch zu schwach – oder wurden sie falsch gefördert?

Isabelle Chassot: Ich glaube nicht, dass Kunst und Kultur zu schwach sind oder falsch gefördert wurden. Man hat sie in den letzten 18 Monaten zu wenig als gestaltende Kraft der Gesellschaft wahrgenommen. Das sind die Folgen der Covid-Krise.

Kunst und Kultur konnten nicht vor Ort aufgeführt werden. In den letzten Monaten hat der Diskurs über Kunst und Kultur gefehlt. Wir haben doch alle gemerkt, dass etwas fehlt.

Auch an ganz abgelegenen Orten der Schweiz erkannte ich, welche enorme Bedeutung die Kultur für unser Zusammenleben hat.
Autor: Isabelle Chassot

Das ging nicht nur den Leuten so, die regelmässig Theater, Museen und Kulturveranstaltungen besucht haben. Da haben wir manchmal einen sehr engen kulturellen Blick. Zur Kultur gehören eben auch die Sprache, die Baukultur, die Laienkultur oder die Bibliotheken – und nicht zuletzt die kulturelle Bildung.

Am Anfang hat man zwar schon gespürt, dass Kunst und Kultur wichtig sind. Aber im Laufe der Krise wurde das immer weniger deutlich, weil viele Kulturschaffende mit ihrer eigenen Existenz beschäftigt waren.

Sie würden also nach wie vor sagen, dass Kultur die Gesellschaft zusammenhält?

Unbedingt. Erst recht in unserem mehrsprachigen Land, das ich während acht Jahren intensiv bereiste – auch zu ganz abgelegenen Orten. Hier durfte ich erkennen, welche enorme Bedeutung die Kultur für unser Zusammenleben hat.

Zum Beispiel?

Am vergangenen Freitag wurde im Kanton Jura das erste Theater eröffnet. Da war spürbar, dass diese Eröffnung ein Meilenstein für die jurassische Gesellschaft ist. Eine junge Schauspielerin hat das mit einem Satz schön auf den Punkt gebracht: «Wir haben die Schaffung des Kantons nicht miterlebt, aber meine Generation durfte die Erschaffung des Theaters miterleben.»

Ein anderes Beispiel ist die Wiedereröffnung des Posthotels «Löwen» in Mulegns am Fusse des Juliers. Hier hat sich das Festival «Origen» eingesetzt für Baukultur, für die Transformation eines geschichtsträchtigen Hauses in einen Ort mit neuen Möglichkeiten und für eine Identität.

Acht Jahre haben Sie das Bundesamt für Kultur geleitet. Worauf sind Sie besonders stolz, wofür haben Sie einen Orden verdient?

Ich habe keinen Orden verdient. Dass wir in diesen acht Jahren zwei Kulturbotschaften durch den Bundesrat und das Parlament gebracht und die Kulturausgaben erhöht haben, ist allen Beteiligten zu verdanken: Dem Bundesrat und Parlament und dem BAK.

Für mich heisst das klar: Wenn man Ambitionen, Visionen und Strategien hat, kann man andere überzeugen, dass die Erhöhung von Mitteln für die Kultur nötig ist. Persönlich stelle ich fest, dass mir diese acht Jahre kurz vorkommen. Das zeigt mir, dass wir alle sehr engagiert gearbeitet haben.

Aber Sie sind wohl schon auf zwei, drei kulturpolitische Pflöcke stolz: Zum Beispiel auf die Verankerung der kulturellen Teilhabe oder die strategische Stärkung der Baukultur.

Natürlich! Bei der kulturellen Teilhabe möchte ich erwähnen, dass wir den Artikel in der Bundesverfassung «Jugend und Musik» umgesetzt und hier auch mehr Geld zur Verfügung haben.

Während Ihrer Zeit als BAK-Chefin wurde auch die Museumspolitik neu ausgerichtet. Es gab neue Förderkriterien: Ein Museum muss eine nationale Ausstrahlung haben, über eine Sammlung von nationaler Bedeutung verfügen und von der Standortgemeinde unterstützt werden, damit der Bund nur subsidiär fördert. Diese neue Förderpolitik hat Museen in ihrer Existenz gefährdet. War das falsch?

Es stimmt: Das BAK wollte für die Museen endlich klare und einheitliche Förderkriterien einführen. Dazu stehe ich nach wie vor.

Für die Umstellung auf die neue Förderpolitik wollten wir den Museen zwei, drei Jahre Zeit lassen, weil uns bewusst war, dass einige Museen – unter anderem das Alpine Museum in Bern und das Schweizer Architekturmuseum in Basel – viel weniger Geld bekommen würden.

Aber das Parlament hat hier gedrängt und eine rasche Umstellung gewünscht. Für das Alpine Museum haben wir dann eine Lösung gefunden: Seit 2019 wird es vom BAK als «Netzwerk» mit 780'000 Franken unterstützt.

Im Nachhinein kann ich sagen, dass wir damals vermutlich besser hätten kommunizieren und das Gespräch mit den Betroffenen suchen müssen. Hier übernehme ich die Verantwortung.

Bei der Umstellung auf die neue Förderpolitik hätten wir besser kommunizieren müssen.
Autor: Isabelle Chassot

Das BAK hat in der sozialen Vorsorge für Kulturschaffende versucht, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Wenn das BAK oder Pro Helvetia Fördergelder vergeben, zahlen Bund und die Kulturschaffenden je 6 Prozent in die Pensionskasse. Damit setzen Sie Kantone und Gemeinden unter Druck.

Die Kantone und Gemeinden sind das eine. Aber wir wollten hier auch den Kulturschaffenden aufzeigen, dass sie verpflichtet sind, sich um ihre berufliche Vorsorge zu kümmern. Gerade die Covid-Krise hat gezeigt, wie prekär die finanzielle Situation vieler Kulturschaffender ist. Ich bin überzeugt, dass es auch eine Aufgabe des Bundesamtes für Kultur ist, eine Vorreiterrolle zu übernehmen.

Ein neues Thema sind die Gagen. Das heisst: Institutionen, die Bundesgelder erhalten, verpflichten sich, Kunstschaffenden angemessene Gagen, zum Beispiel für Lesungen, zu zahlen. Ein anderes Thema ist die Genderfrage.

Ich bin überzeugt, dass auch in der Kultur die Gleichberechtigung von Frau und Mann eine Rolle spielen muss.
Autor: Isabelle Chassot

Das würde bedeuten, dass das Aargauer Kunstmuseum und das Museo d’Arte della Svizzera Italiana, die beide vom BAK unterstützt werden, ihr Programm so ausrichten, dass gleich viele Werke von Künstlerinnen und Künstlern gezeigt werden.

Das könnte es heissen. Im Film haben wir das 2016 bereits gemacht und gesagt: Bei gleicher Qualität werden Projekte von Frauen prioritär gefördert. Ich bin überzeugt, dass auch in der Kultur die Gleichberechtigung von Frau und Mann eine Rolle spielen muss.

Die Inserate für die neue BAK-Direktion sind bereits online aufgeschaltet und in der Tagespresse publiziert. Was muss Ihre Nachfolgerin, Ihr Nachfolger können?

Wichtig ist die Freude am Dialog und an der kulturellen Vielfalt in unserem Land. Als ich Direktorin des Bundesamtes für Kultur wurde, war ich überzeugt, das Land zu kennen. In den acht Jahren habe ich die Schweiz neu entdeckt.

In der Wintersession nehmen Sie im Ständerat Platz. Haben Sie bereits kulturpolitische Vorstösse parat?

Sagen wir es so: Die Kulturschaffenden und Kulturverbände wissen, dass sie in mir eine engagierte Ständerätin aus einem zweisprachigen Kanton haben, die weiss, dass es für die Kultur Anwältinnen und Anwälte braucht.

Das Gespräch führte Karin Salm.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Talk, 12.10.2021, 9.03 Uhr ; 

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