Als Jan Tschichold 1933 aus München in die Schweiz floh, hatte er sein «privates Historisches Museum im Gepäck», wie er es nannte. Ein Sammelsurium an besonders gelungenen Druckgrafiken: 1500 Broschüren, Kleinplakate, Briefköpfe, Visitenkarten und Anzeigen einiger seiner Gestalter-Kollegen wie Herbert Bayer, László Moholy-Nagy, Kurt Schwitters und Eliezer Lissitzky.
Sie alle waren Vertreter eines neuen Grafikdesign, der «Neuen Typografie». Deren gestalterischen Grundsätze hätten heute noch ihre Gültigkeit, sagt Linda Wössner. Sie ist Kuratorin der Ausstellung «Revolutionäre der Typografie», die momentan in Basel zu sehen ist.
«Die Reduzierung auf den Kern der Botschaft und die Arbeiten mit reduzierter Ornamentik sind bis heute präsent», sagt Wössner. Dieser Stil sei sozusagen ein Vorverwandter des heutigen Swiss-Designs.
Designschätze in Basel
Der Ausstellungstitel «Revolutionäre der Typographie» zeigt jene Drucke und grafischen Vorbilder, die Tschichold mit seiner Emigration in die Schweiz rettete.
«Ähnliche Objekte liegen im MoMA in New York oder im Victoria and Albert Museum in London. Deren Bedeutung soll hier wieder in den Fokus geraten. Basel und die Welt sollen sehen, welche Schätze des Grafikdesign der 1920er- und 1930er-Jahre hier liegen», erzählt Wössner.
Jan Tschichold selbst kam ursprünglich aus der klassischen kalligrafischen Schriftgestaltung. Er hatte an der Leipziger Akademie der Künste studiert. Als er 1923 die erste Bauhaus-Ausstellung in Weimar besuchte, faszinierten ihn die avantgardistischen Entwürfe so sehr, dass er 1925 ein Manifest mit einer Auflage von 20'000 Stücken zu diesem neuen Gestaltungsprinzip verfasste.
Sein Manifest löste eine gestalterische Kehrtwende aus und machte Tschichold schlagartig berühmt. «Heute gilt er als derjenige, der diese avantgardistische Designbewegung in die Weite gestreut hat», sagt Linda Wössner.
Schnörkellos und reduziert
Die Ausstellung ist wie eine Zeitkapsel. Man sieht jenes Manifest aus den 1920er-Jahren: Werbeprospekte, Flyer und Karten aus der Blütezeit der Bauhaus-Jahre. Die verwendeten Schrifttypen sind schnörkellos und ohne Ornamente, Serifen fehlen ganz. Kernbotschaften werden mit rotem Punkt und schwarzem Pfeil hervorgehoben.
Die «Neue Typografie» meinte jedoch nicht nur die Schriftgestaltung, sondern auch den Einsatz von Fotografien. Auf einem Werbeprospekt von Johannes Canis für einen Bürostuhl mutet das aus heutiger Sicht unbeholfen an.
Nachdem Jan Tschichold in die Schweiz emigrierte, musste er 1936 aus Geldnot seine Sammlung an das Gewerbemuseum Basel verkaufen. Da war die «Neue Typografie» längst keine Unbekannte mehr. Schweizer Grafiker und Künstler wie Theo Ballmer oder Xanti Schawinsky hatten die neuen Gestaltungsprinzipien bei Reisen ans Bauhaus kennengelernt und in der Schweiz erprobt.
Jan Tschichold selbst wandte sich in der Schweiz von der «Neuen Typografie» ab. Warum? Die Ausstellung gibt darauf leider keine Antworten. Ab Mitte der 1930er-Jahre hat Tschichold ganz klassisch Bücher gestaltet und war bei verschiedenen Basler Druckereien und Verlagshäusern angestellt.