Ein Grund für den weltweiten Erfolg von Dada war der Name «Dada». Eine Revolte in der Kunst lag in der Luft. «-Ismen» gab es schon genug, doch nur eine kleine, verarmte Gruppe Immigranten im Zürcher Niederdorf schaffte es, die innovativen Kräfte der Zeit unter einen Begriff zu bündeln. Dada ist wie Google, ein seltsames Wortspiel, das aber in allen Sprachen funktioniert.
Sie wollten alles. Sofort.
Die Dadaisten jonglierten mit der Sprache. Sie foutierten sich um die schöne Form der bürgerlichen Kultur, sie wollten die laute, prägnante Proklamation! Nicht das edle Buch war ihre Form, sondern das allabendliche Cabaret der Strasse. Wenn sie dort mit unverständlichen Gedichten auftraten, wollten sie genau das: Sie wollten Wirkung, Sprachwirkung, und zwar sofort.
Sie verfälschten Nachrichten, sie spielten mit der Werbung, sie behaupteten Dinge, die nicht stimmten. Alles nur für das eine rare Gut – die Aufmerksamkeit. Dada siegt! Sie wussten: Bald kommt die nächste Avantgarde, und dann ist es vorbei.
Alles musste rein in Dada: Musik, Poesie, Kunst, Tanz und Zufall. Es war die erste multimediale, interdisziplinäre Kunstform. Man bezeichnete Ähnliches schon als Gesamtkunstwerk, doch so war es neu, fremd, abstossend und provokativ.
Im Netz herrscht Dada
Mit der Avantgarde kam eine neue Sprache. Und mit der neuen Sprache brach man mit dem alten System. Was damals das Lautgedicht der Industrialisierung war, ist heute der Tweet der Digital Natives. Sie sind das Symbol einer Veränderung. Das Gezwitscher in 140 Zeichen ist der typografisch gesetzte Slogan der Dadaisten auf ihren Plakaten.
Denkt man heute an die Debatte um Copyrights und Creative Commons fühlt man sich zurückversetzt in die Zeit, als die Technik der Collage ihren Anfang nahm. Nicht die Welt abbilden, wie es die Künstler vor ihnen taten, sondern sich bedienen und sich ihre eigene Welt neu zusammensetzen, das war die Maxime.
Sie «collagierten» sich ihre Welt, denn so wie sie war, machte sie keinen Sinn mehr. Heute fragt man sich, wieviel Sinn es macht das Unikat hochzuhalten, in Zeiten unendlicher Kopien.
Revolutionäre Zeiten
Hugo Ball, der Gründer des Cabaret Voltaires, sagte schon bald nach den ersten Aktionen den Tod von Dada voraus und verabschiedete sich nach seinem legendären Lautgedicht im Kartonkostüm ins Tessin und in den Katholizismus. «Blago Bung», «Blago Bung», waren seine letzten Worte , sie könnten heute der Name der nächsten Suchmaschine sein.
«Ich will keine Worte, die andere erfunden haben», heisst es in seinem Manifest, im Bemühen darum mit dem Bestehenden zu brechen.
Die Kunstmarke Dada entstand, während Carl Gustav Jung die Psychoanalyse betrieb und Lenin die Russische Revolution von 1917 plante. Sie wurde von den Zeitungen als neuste Nachricht verkauft, von der Gesellschaft als Exotikum taxiert und in die Welt getragen.
Dada ist tot, doch nie ganz weg
Auch wenn Dada nicht lange lebte, der kurze Auftritt in der Geschichte reichte, um allen späteren Avantgarden als Fundus zu dienen: So lebte Dada als provokative Praxis in der Fluxus-Bewegung wieder auf, in den Sprachspielen und Cut-ups der Beatniks, in den antibürgerlichen Protesten der 1968er, im Dilettantismus der Punks. Dada siegte, immer wieder! Und heute?
Der künstlerische Widerstand, die öffentliche Provokation, die inszenierte Form der Revolte – das alles schwingt mit in den Auftritten von Aktivisten wie der Occupy-Bewegung, Pussy Riot, Femen. Sie übernehmen Strategien, die schon einmal aufgeführt wurden in diesem Cabaret im Niederdorf.
Mit der hiesigen Kultur brechen
Aber am ehesten ist Dada da, wo neue Sprache entsteht, wo Neuland betreten wird. So gesehen ist die Garage von Steve Jobs Dada, Dada sind die Untiefen des Dark Web, Dada ist der Hacker, der die virtuelle Welt manipuliert, weil er die reale Welt neu ordnen will. Es ist ein Viertel Negation, ein Viertel Schock und viel Gelächter.
Ein Flüchtling geht durch die Gassen der Zürcher Innenstadt, geprägt vom Krieg, den er erlebte hat, bringt er eine Kultur mit, die mit einer Dringlichkeit und Radikalität mit dem bricht, was die hiesige Kultur zu bieten hat. Die Dadaisten vor 100 Jahren waren Deutsche, Franzosen, Rumänen im Exil, heute könnte es ein Syrer sein.