Seit 25 Jahren spielt das Projekt «Sudden Infant» eine wichtige Rolle in Ihrem Schaffen. Die Musik aus dem Bereich Industrial/Underground wird auch als Noise-Dada bezeichnet. Wo in Ihrer Musik steckt Dada?
Joke Lanz: Ich würde mich nicht explizit als Dadaisten bezeichnen. Dennoch beeinflusste Dada mein Schaffen. In jungen Jahren war ich von dieser Bewegung fasziniert – unter anderem, weil sie in Zürich entstand. Nachdem ich Anfang der 1980er-Jahre die Dada-Ausstellung im Kunsthaus Zürich gesehen hatte, las ich zahlreiche Bücher dazu. Das beeinflusste mich, ebenso das Aufkommen der Punkmusik.
Punk und Dada weisen starke Parallelen auf: Bei Punk spielt neben der Musik die physische Präsenz auf der Bühne eine wichtige Rolle. Da sehe ich eine klare Verbindung zur Performance und dem Live-Aspekt, der bei den Dadaisten zentral war. Auch der Körper ist wichtig: Bewegungen, Kostüme oder das Miteinbeziehen von Geräuschen. Diese physischen Elemente sind auch für mich zentral, da fühle ich mich daheim.
Was faszinierte den jungen Joke Lanz sonst noch an Hugo Ball und Co.?
Die Absurdität. Dada ist Chaos. Dada stellt alles in Frage, erfindet ständig alles neu. Diese totale Freiheit gefällt mir. Der Dadaist ist der freiste Mensch auf Erden.
Frei wovon? Gesellschaftlichen Konventionen? Oder frei von Grenzen unterschiedlicher Kunst-Genres?
Frei von beidem. Und er ist frei, sich vom Intellekt zu distanzieren; sich nicht allein vom Verstand steuern zu lassen – der beruht ja oft auf äusseren Parametern und Einflüssen. Ich schätze die Freiheit, mich in einer reinen, kindlich-absurden Welt darstellen und darin versinken zu können. Früher hätten die Leute gesagt: «Däm Maa däm spinnts», um Mani Matter zu zitieren. Auch dies ist für mich Dadaismus – und Punk: Dass man alles in Frage stellt und dies auch zelebriert.
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Dada ist demnach mehr als Inspiration. Eine geistige Heimat?
Auf jeden Fall. Als junger Mensch hat mir Dada geholfen, meinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Dass in dieser bornierten Schweizer Leistungsgesellschaft etwas derart Verrücktes wie Dada entstehen konnte, gab mir Hoffnung.
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Im Cabaret Voltaire trugen Sie unter anderem «Schnipsel 2» vor, ein Stück mit Sprechgesang und Lautpoesie. Eine Referenz an Dada?
In dem Song zitiere ich mit Adolf Wölfli einen Schweizer Art-Brut-Künstler, der lange Zeit seines Lebens in der psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern verbrachte. Er hinterliess ein beeindruckendes Werk, das in meinen Augen sehr dadaistisch ist – und sehr persönlich. Darum geht es doch: Dass man sich nicht versteckt und als Mensch präsent ist, mit allem was dazugehört.
Diese starke Verbindung von Kreativität und Emotionen – wie bei Wölflis Werk – ist für mich zentral. Das bedeutet, dass man in der Kunst ganz tief geht, eigene Ängste, Freuden und heimliche Wünsche mit einfliessen lässt. Für mich ist das ein Ventil: Dada ist auch therapeutisch. Ich empfehle allen, die sich gerade an einem Punkt im Leben befinden, an dem sie nicht mehr weiter wissen: Lest ein Dada-Buch! Sofort kriegt man wieder ein Lachen im Gesicht, realisiert die Absurdität, die Tragik und die Komik des Lebens.