In gewissen Zeitabständen taucht er in Modemagazinen auf: der Dandy. Meistens handelt es sich dabei um schmollmündige junge Männer, die in eine Art Retro-Chic gekleidet sind. Ganz falsch, sagt Dieter Meier. Der wahre Dandy sei kein schriller Paradiesvogel. Eleganz habe mit Exaltiertheit nichts zu tun.
Dieter Meier weiss, wovon er spricht. Der Zürcher Künstler und Musiker ist ein überzeugter Dandy. Doch er kennt sich nicht nur mit edlem Zwirn und den Differenzen zwischen italienischen und englischen Schuhen aus; er weiss auch um die Feinheiten des Dandytums als Lebenshaltung.
Stilikone und Perfektionist
Dieter Meier beruft sich auf George Bryan Brummell (1778-1840), den englischen Urvater des Dandytums. Brummell, Stilikone und Freund des späteren englischen Königs George IV., soll zwei Handschuhmacher beschäftigt haben: Einer nähte die Daumen, ein anderer die Finger. Gewiss, ein wenig überkandidelt klingt das schon, aber Brummell suchte stets, auch im kleinsten Detail, nach absoluter Perfektion. Stunden konnte er sich mit dem Drapieren eines Halstuchs beschäftigen. Doch wenn er dann auf die Strasse heraustrat, habe seine Eleganz nie gewollt ausgesehen, glaubt Dieter Meier.
Brummells Kult um die Eleganz erinnert an das harte Training einer Ballerina: Hinter verschlossenen Türen wird geprobt, gefeilt und auch geschwitzt, auf der Bühne, vor der Gesellschaft wird geglänzt und allenfalls kühl gelächelt.
«Ein Dandy», sagt Dieter Meier, «ist wie ein Gedicht.» Diese Lebenskunst habe, so oberflächlich und selbstgenügsam sie wirken mag, durchaus eine widerständige Note. Dieter Meier sieht im Dandytum einen Protest gegen den Mief des Bürgertums und für die Schönheit.
Sinnfreie Aktionen
Meier hat keine Mühe, Dandytum und dadaistische Kunst zu verbinden. Ob er Metallstücke in einer sinnfreien Aktion in Tüten à 1000 Stück abzählte oder Passanten über Metallbänder gehen und sich ihrem Gang widmen liess: Die Aktionen, mit denen Dieter Meier seit den 1970er-Jahren in Erscheinung trat, waren eindeutig vom Geist des Dada infiziert. Wie in der Eleganz des Dandy steckt auch in den Nonsens-Gesten Dadas ein Protest, gegen die öde Alltäglichkeit und für die Fantasie.
Dieter Meier ist nicht der einzige Schweizer Künstler, der Dandytum und Dadaismus miteinander verbindet. Bereits Arthur Cravan (1887-1919) inszenierte sich als stets gut gekleideter Dada-Rebell. Der in Lausanne geborene Gelegenheitsliterat arbeitete mal als Orangenpflücker in Kalifornien, mal aus Chauffeur in Berlin, er machte als Hochstapler und Hoteldieb von sich reden, aber auch als Dichter mit dem kürzesten Haarschnitt der Welt. Er pflegte Kontakte zu Anarchisten und machte eine enorm kurze, doch erfolgreiche Karriere als Preisboxer. Nur drei Monate widmete er sich dem Sport, doch ab 1910 durfte er «Champion de boxe» nennen.
Philosophie des Dandytums
Fotografien belegen: Der gut trainierte Hüne (er mass 1,95 Meter) war stets elegant gekleidet. Auch beim Training trug er weisse Hemden. An seiner Erscheinung feilte er ebenso wie an seinen Formulierungen in Gedichten und bissig-gewitzten Kritiken, die er in seiner eigenen Zeitschrift «Maintenant» veröffentlichte. «Maintenant» erschien 1912-1915, und Cravan verkaufte sie auf einem Gemüsekarren, den er durch die Strassen schob, weil er Buchhandlungen für Grabstätten der Kunst hielt.
In vielen Texten, die Arthur Cravan für «Maintenant» verfasste, beschäftigt der Früh-Dadaist aus der Romandie sich mit seinem Onkel und Vorbild, dem geistreichen irischen Dichter und Ästheten Oscar Wilde (1854-1900). Wilde war nicht nur ein brillanter Gesellschaftsanalytiker, der in seinen Komödien die Marotten und Abgründe seiner Zeitgenossen aufspiesste, und satirisch, zynisch, ja beinahe dadaistisch überspitzt formuliert servierte, er war auch ein sehr eigenwilliger Sozialist und – vor allem in seinen Aphorismen – ein grosser Theoretiker des Dandytums und des Ästhetizismus. Oscar Wilde, der sich in der Welt von Schein und Sein bestens auskannte, findet in der Selbstinszenierung sogar einen gewissen philosophischen Trost: «Seines eigenen Lebens Zuschauer zu werden bedeutet, den Leiden des Lebens zu entrinnen.»