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Blinder Galerist «Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind genauso wichtig»

Johann König ist ein junger, erfolgreicher Galerist. Und: Er ist stark sehbehindert. In seinem Buch «Blinder Galerist» erzählt er seine ungewöhnliche Geschichte.

Johann König ist meistens in Hemd und Anzug anzutreffen, dazu Lederschuhe oder Sneakers. Er trägt einen rotbraunen Wuschelkopf, Dreitagebart und eine Brille, die seine Augen um ein gutes Stück grösser wirken lassen.

Grund für seine Sehbehinderung war ein Unfall: Mit 12 Jahren spielte König mit den Sprengstoffkügelchen einer Startschusspistole. Sie explodierten und zerstörten seine Augen so sehr, dass er fortan nur noch schemenhaft sehen konnte. Ein Trauma, das ihn seither begleitet.

Warum ausgerechnet Galerist?

Heute sieht Johann König durch eine Operation vor zehn Jahren wieder besser. Aber seine Sehkraft ist grossen Schwankungen unterworfen. «Es ist schwierig für mich zu beschreiben, wie gut ich sehe. Das ist so, als ob man beschreiben müsste, wie man sich fühlt», so König.

Wie kommt ein Mensch mit einer solchen Einschränkung ausgerechnet darauf, Galerist zu werden?

Dass Johann König die Kunst mit der Muttermilch eingeflösst bekam, war – zumindest anfänglich – nicht der Grund. Mutter Edda war Schauspielerin und Illustratorin, Vater Kasper Ausstellungsmacher und Direktor des Museum Ludwig in Köln, Onkel Walther Kunstbuchhändler und Verleger, Bruder Leo Kunsthändler in New York.

Als Kind habe sich Johann König eine «normale» Familie gewünscht, die ihn nicht zu jeder Vernissage mitschleppe – so beschreibt es der Galerist in seinem Buch «Blinder Galerist».

Das Buch

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«Blinder Galerist» liest sich süffig und handelt keinesfalls nur vom Verlust Johann Königs Sehkraft, sondern auch von Liebeskummer, von seinen Kindern, von Karrierehochs und -tiefs, vom Kunstmarkt und von einer Kindheit in einem Kosmos voller Kunst.

Johann König, Daniel Schreiber: Blinder Galerist. Propyläen Verlag, 2019.

Erst als Jugendlicher tauchte Johann König in die Frankfurter Kunstszene ein. Eine Galerie zu besitzen war damals nicht sein Ziel gewesen. Eine Karriere als Kurator hätte ihn gereizt, aber auch bedeutet: Reisen planen und Büroarbeit erledigen – Dinge, die ihm durch sein eingeschränktes Sehvermögen beinahe unmöglich waren. Und so eröffnete König noch vor den letzten Abiturprüfungen seine erste Galerie in Berlin.

Das Visuelle löst oft nicht ein, was es verspricht

Trotz aller Widrigkeiten gäbe es auch Vorteile, nicht gut zu sehen, sagt König: «Kunst kann visuell unglaublich beeindruckend sein. Aber das Visuelle löst am Ende oft nicht ein, was es verspricht.» Deswegen sei er in dieser Hinsicht oft etwas kritischer und überprüfe die inhaltliche Relevanz stärker als andere.

Zudem sagt Johann König, dass man eine gewisse Konzentration entwickelt, wenn man nicht alles sehen kann: «Im Alltag prasseln die visuellen Eindrücke nur so auf uns ein. Dem entgeht man, wenn man nicht so gut sieht und sich die Sachen ganz gezielt anschaut muss.»

Seit vier Jahren zeigt Johann König seine Kunst in Berlin-Kreuzberg in einer ehemaligen Kirche, einem imposanten Gebäude aus Beton. Rund 40 Künstler vertritt er mittlerweile, dazu gehören Monica Bonvicini, Alicja Kwade und die Schweizerin Claudia Comte.

Wenn er ein neues Werk in sein Repertoire aufnimmt, steht der ästhetische Aspekt nicht an erster Stelle. Wichtiger ist König die Idee dahinter und die ganzheitliche Erfahrung des Kunstwerkes – oder, wie er in seinem Buch schreibt: «Die Bilder, die im Kopf entstehen, sind genauso wichtig wie die Bilder an der Wand.»

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