Existiert Gott? «Nun, ich würde sagen: Noch nicht.» Dieses Zitat des Technologie-Gurus und Futuristen Ray Kurzweil findet sich auf der ersten Seite des Bildbands «H+».
«H+» ist das Zeichen der Transhumanisten: Das H steht für «Homo», Mensch. Das Plus für das, womit die Anhänger dieser philosophischen Bewegung den menschlichen Körper und Geist erweitern wollen.
Über vier Jahre hat sich der Lausanner Fotograf Matthieu Gafsou weltweit auf die Spuren dieser Bewegung begeben.
Artefakte der Zukunft
Gafsou zeigt in der Fotoserie «H+» die exzentrischen Vordenker der Bewegung, lässt in teils unheimliche, teils unheimlich faszinierende Welten blicken. Er zeigt die Präparate und Produkte, mit denen sich die Transhumanisten umgeben.
Diese sind wie Artefakte aus der Zukunft inszeniert: Die Gegenstände stehen alleine und aus dem Zusammenhang gerissen da. Sie wirken so glatt, als seien sie eher einem Science-Fiction-Film entsprungen als der Realität.
Fliessende Übergänge
Dabei zeigt die Serie zu Beginn harmlose Objekte: Zahnspangen, Pillendosen, Herzschrittmacher, ein Brutkasten für Babys und Armbänder, die unsere Körperfunktionen überwachen.
Dass diese banalen Dinge sich in einem Fotobuch über Transhumanismus finden, unterstreicht die Aussage, dass der erweiterte Mensch längst zu unserem Alltag gehört.
Zudem lässt sich gerade an diesen gewöhnlichen technologischen Helfer zeigen, wie fliessend der Übergang zwischen heutigem Wissen, technologischem Fortschritt und dem utopischen und teils extremen Techno-Enthusiasmus der Transhumanisten ist.
Ein Bild zeigt etwa ein Exoskelett, normalerweise eine Stütze, um motorische Fähigkeiten zu trainieren Gleichzeitig forscht das amerikanische Verteidigungsministerium – so verrät die Bildunterschrift – an Möglichkeiten, Soldaten dank solcher Prothesen zu praktisch unermüdlichen Kriegsmaschinen zu machen.
Unheimliche Kontraste
Durch das ständige Wechseln zwischen Vertrautem und Verfremdetem, zwischen dem Gezeigten, Greifbaren und dem Weggelassenen, lösen Matthieu Gafsous Bilder Gänsehaut aus.
Ein ganzes Kapitel ist sogenannten Nootropika gewidmet – smarten Drogen, die Hirnleistung oder Kreativität kerngesunder Menschen verbessern sollen.
Von der Hundertjährigen, die täglich einen starken Espresso trinkt, um länger jung zu bleiben, ist es nur ein kleiner Schritt zu den chemischen Präparaten der Firma Elysium Health, einem Start-up aus dem Silicon Valley. Weisses Pulver schimmert in Kapseln: ein Heilsversprechen in cleaner, medizinischer Optik.
Eifer trifft auf Augenzwinkern
Den Weg in die Unsterblichkeit, den weist auch Ray Kurzweil, ein amerikanischer Transhumanist und Leiter der technologischen Entwicklung bei Google: Bald könne der menschliche Geist in Maschinen verpflanzt werden, prognostiziert er in seinen Schriften.
Wie die Bibel, in dunklem Ledereinband, hat Matthieu Gafsou Kurzweils Buch abgelichtet. Laborräume wirken auf seinen Fotos wie kultische Stätten, Transhumanisten wie Heilige.
Völlig übertrieben? Ja, aber wohl bewusst. Die unterschwellige Ironie steht im Kontrast zum Eifer der technologischen Tüftler, ohne dass die Protagonisten lächerlich gemacht werden.
Staubsaugende Magnete
So muss man Schmunzeln, selbst wenn's auf den Bildern ans Eingemachte geht: Wenn Biohacker selbst Hand anlegen, um ihren Körper – wie andere ihr Auto – auszubessern und mit neuster Technik auszustaffieren, etwa mit Mikrochips und elektronischen Tattoos.
Oder mit Magneten unter der Haut, wie der Schweizer Julien Deceroi. Er ist ein sogenannter «Grinder», der den Körper in Eigenregie mit Implantaten erweitert.
Er hat einen Sinn mehr als andere Menschen: Im Mittelfinger trägt er einen Magneten, um magnetische Felder zu erspüren. Natürlich lassen sich damit auch, wie mit einer Art magnetischem Staubsauger, Metallteilchen auflesen.
Eingefroren für die Ewigkeit
Das Lachen im Hals stecken bleibt einem auf der letzten Seiten des Bildbands: Es zeigt eine karge Industriehalle mit riesigen, weissen Bottichen.
Kriorus mit Sitz ausserhalb von Moskau, ist eine von drei Kryonik-Firmen weltweit. Die Crew um den Geschäftsmann Igor Trapeznikov, selbst ein Cyborg, will Menschen mit wissenschaftlichen Methoden unsterblich machen.
Dafür haben sie eine Methode entwickelt, Tote so einzufrieren, dass sie später wieder zum Leben erweckt werden können.
Gesetze gibt es dafür bisher kaum. In den Bottichen warten tiefgefrorene Hirne und Körper auf zukünftige Wiederbelebung – und das ewige Leben.