Auf dem Boden des Bündner Kunstmuseums liegen 25'000 Häufchen. Kleine Reisberge, einer neben dem anderen feinsäuberlich aufgehäufelt. 1400 Kilo Reis haben Wolfgang Laib und seine Helfer fünf Tage lang geduldig ausgelegt. Und währen sie die Arbeit aufbauten, begann Russland den Krieg in der Ukraine.
Ist für eine Kunst-Ausstellung Reis auf den Boden zu streuen nicht absurd, ganz besonders in Zeiten des Krieges? «Nein, im Gegenteil!» sagt der ältere Herr mit Brille entschieden. Erst im Krieg werde klar, wie wichtig Kunst und Kultur seien. Sie seien Handlungen, die die Menschen im Gegensatz zum Krieg inspirieren, erfreuen, weiterbringen, so Wolfgang Laib.
Das Motto: Achtsamkeit und Reduktion
Der deutsche Künstler Wolfgang Laib arbeitet immer mit Natur. Seine Kunstwerke bestehen aus Milch, Wachs oder Reis. Besonders berühmt sind seine Arbeiten mit intensiv gelb leuchtenden Blütenpollen, die Laib auf Haufen oder Flächen streut. In Bündner Kunstmuseum in Chur ist nun eine neue Ausstellung von Wolfgang Laib zu sehen: «Crossing The River».
Wie ein Erleuchteter schaut der 71-Jährige aus, mit seiner feinen Brille und dem sanften Lächeln. Rituelle Vertiefung, östliche Philosophie, Achtsamkeit – das alles schwingt mit in Wolfgang Laibs Kunst, die stets den Grundprinzipien von Reduktion und Konzentration gehorcht.
Weniger ist manchmal mehr
Reis am Boden, ein kleiner Blütenpollen-Berg am einen Ende des Raums. Ein buddhistisches Gedicht aus dem 13. Jahrhundert an der Wand, ein uraltes Eucharistie-Kästchen aus dem Churer Domschatzmuseum. Das ist es. Und das genügt Wolfang Laib: «Je einfacher es ist, umso intensiver wird es und komplexer.»
So schlicht und reduziert die Werke von Laib sind: Es geht ihm ums Ganze. Um das Leben, die Seele und die grossen Fragen nach Vergänglichkeit, Tod und Ewigkeit.
Malen mit Natur
Dass er als Künstler dabei nicht mit Leinwand und Farbe arbeitet, sondern mit Naturmaterialien, ist elementar. Milch, Reis, Blütenpollen würden universell verstanden, so der Künstler: «Dieser Blütenstaub-Berg ist so einfach und so klein, und beinhaltet so viel. Ich habe ihn nur gesammelt und gestreut, nicht gemacht. Er ist Teil eines grossen Ganzen.»
Die Pollen, die Wolfgang Laib selbst sammelte, sind kostbar, leuchtend gelb und wunderschön. Ein Symbol für Pflanzen und Leben. Und doch auch ein Mahnmal für all die Pflanzen, die nicht wuchsen. Die Pollen landeten nämlich im Marmeladeglas von Wolfang Laib und schliesslich im Kunstmuseum Chur auf einem Häufchen. Anstatt auf den Stempeln vieler Blüten, um dort zu Samen auszuwachsen und zu Tausend neuen Haselsträuchern.
Tiefenentspannt und ziemlich locker stellt Wolfgang Laib die ganz grossen Fragen. Und der Reis am Boden des Bündner Kunstmuseums duftet süss.