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Kunst «Buy film, not megapixel»: Die Bewegung Slow Photography

Einfach drauflos knipsen: Digitale Fotografie macht uns zu Bilderjägern. Aber ist tatsächlich alles wert, festgehalten zu werden? Diese Frage stellen sich Vertreter der neuen Bewegung Slow Photography. Sie benutzen alte, analoge Kameras und zelebrieren das Fotografieren als bewussten Moment.

Eine Szene auf einer Bergwanderung auf 2600 Metern: Drei Murmeltiere ganz nah am Wanderweg machen Männchen. Eine Wanderin öffnet ihren Rucksack, zieht ihr iPad hervor und schiesst ein paar Fotos.

Eine heute alltägliche Szene. Die digitale Fotografie hat unseren Umgang mit Bildern stark verändert: Seit Handys auch Kameras sind, kostet es nichts mehr, ein Bild zu machen. Und dank sozialen Medien können wir unsere Bilder in Sekundenschnelle mit Freundinnen und Bekannten teilen.

Die neue Lust auf Langsamkeit

In den USA formiert sich zu diesem Trend eine Gegenbewegung: Slow Photography. Ihre Vetreter zelebrieren das Fotografieren als bewussten Moment. Anstelle von Digitalkameras benutzen sie alte analoge Geräte. Die Filme und deren Entwicklung sind teuer, so dass die Benutzerin bewusst auswählt, welche Bilder es wert sind, festgehalten zu werden.

«Believe in film» oder «Buy film, not megapixel» lauten die Slogans der Bewegung, auf T-Shirts festgehalten. Der Zürcher Stefan Bucher identifiziert sich mit den Zielen der langsamen Fotografie. Für ihn ist die Idee zentral, dass alte Kameras keine perfekten Bilder machen: «Die digitale Fotografie suggeriert die Perfektheit: die komplett scharfe Abbildung, die Farbtreue», sagt er. Etwas krumm sein zu lassen, könne da erfrischend sein. «Das Unperfekte ist ein Teil meiner Lebensphilosophie.»

Patina bewusst kreieren

Die Patina früherer Jahre liegt aber auch in der digitalen Fotografie im Trend: die neusten Digitalkameras sehen mit ihrem Überzug aus Lederimitat aus wie analoge Modelle aus den 1950er-Jahren. Und Programme wie Instagram lassen digitale Bilder aussehen wie aus Grossmutters Zeiten.

Der Fotospezialist Urs Stahel erklärt sich diesen Trend mit einer Sehnsucht nach Geschmack, nach Leben: «Das ist ähnlich wie beim Wechsel von der Langspielplatte zur CD. Die Platte erzeugte einen weichen Ton, hatte auch mal Kratzer, während die CD einen kristallklaren Klang wiedergibt. Auch dort vermisste man die Patina des Plattenklangs.»

Die beste Kamera ist die, die du dabei hast

Trotz Sehnsucht nach der unperfekten alten Zeit nutzen auch manche Anhänger der langsamen Fotografie die Möglichkeiten des Digitalen. Für den Zürcher Stefan Bucher ist die beste Kamera die, «die du dabei hast». Auch teilt er den oft gehörten Kulturpessimismus nicht: das echte Erlebnis gehe mit der Handy-Fotografie verloren, man nehme die Umwelt nur noch via Handy-Bildschirm wahr und sei in Gedanken schon im Nachher, anstatt den unmittelbaren Moment wahrzunehmen.

«Auch wenn ich mit einer analogen Kamera unterwegs bin, denke ich unter Umständen nur ans Bild.» Stefan Bucher möchte demnächst ein Experiment machen: Eine digitale Kamera mitnehmen, sich aber zur Bedingung stellen, an einem Nachmittag nur eine Handvoll Bilder zu machen.

Das Digitale verändert unsere Fotokultur

Für Fotospezialist Urs Stahel haben digitale Bilder eine sozio-psychologische Funktion, keine ästhetische. Der Prozess des Fotografierens sei wichtiger als das Bild selbst: «Man ist als Gruppe in einer schönen Stadt, man fotografiert sich gegenseitig und lädt die Bilder hoch – aber im Moment, in dem man sie hochlädt, ist der selbst kreierte Event zu Ende, und das Interesse an den Bildern erloschen.»

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