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Candrice Breitz im Kunstmuseum St.Gallen
Aus Kultur-Aktualität vom 28.01.2019. Bild: Candrice Breitz und KOW / Foto: Sebastian Stadler
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Candice Breitz in St.Gallen Kunst, die nicht weggezappt wird

Wenn ein Zwölfjähriger über Sex-Arbeit spricht: Die südafrikanische Künstlerin Candice Breitz lenkt in ihren Videoarbeiten unsere Aufmerksamkeit auf komplexe und unangenehme Themen.

Es ist schwierig, die Aufmerksamkeit von Menschen zu bekommen und zu halten. Fangen wir also mit Sex an. In der Videokunst-Arbeit «TLDR» erzählen Sex-Arbeiterinnen und -Arbeiter von ihrem Job.

Sie sprechen darüber, was so eine Arbeit in einer Welt bedeutet, in der man zwar über fast alles offen reden kann – ausser über Sex-Arbeit. Aus moralischen Gründen. Oder weil Sex-Arbeit nicht ins feministische Weltbild passt.

Oder weil das Thema einfach zu kompliziert ist, um es kurz und knackig auf den Punkt zu bringen.

Sexarbeiterinnern halten Plakate mit Sprüchen hoch wie «Not your pretty woman».
Legende: «TLDR»: Die Arbeit setzt Sex-Arbeiterinnen in Szene und auf Provokation. Candice Breitz und KOW, Berlin

Viele Menschen mögen keine komplizierten Themen. Das deutet der Titel des Werkes von der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz an: «TLDR», was die Abkürzung für «too long didn’t read» ist. Auf Deutsch: zu lang, hab's nicht gelesen.

Eine Abkürzung, die man oft unter Beiträgen in sozialen Medien finde, sagt Breitz. Eine Abkürzung, die ausdrückt: Jemand hatte keine Lust den Text zu lesen, weil er zu lang war – oder zu komplex.

Strategien gegen das Weggucken

Wie gewinnt man die Aufmerksamkeit von Menschen, die Texte schnell zu lang finden, die weiterblättern oder wegzappen, wenn es zu ernst und zu anstrengend wird?

Sie habe da verschiedene Strategien entwickelt, sagt Candice Breitz. Diese Strategien haben die 47-jährige Künstlerin aus Südafrika international bekannt gemacht.

Zum Beispiel lässt sie in ihren Videos oft Prominente auftreten. In «Love Story» etwa, einem Mehrkanal-Video von 2016, bat sie Hollywood-Stars Julianne Moore und Alec Baldwin vor die Kamera, um mit ihrer Unterstützung die Geschichten von Flüchtlingen zu erzählen.

Ein Knabe plaudert über Sex-Arbeit

Auch in «TLDR» setzt Candice Breitz, die seit 16 Jahren in Berlin lebt, einen Eyecatcher ein: einen zwölfjährigen Jungen, der als Erzähler und Moderator auftritt.

Zanny Stevens, so heisst der Knabe, verbindet die Video-Interviews mit Sex-Arbeiterinnen und -Arbeitern miteinander. Er macht das unglaublich locker, lässig und irritierend.

Ein Junge steht zwischen Frauen, die Plakate hochhalten.
Legende: Provokation pur: Ein Zwölfjähriger plaudert in «TLDR» über Sex-Arbeit. Candice Breitz und KOW / Foto: Sebastian Stadler

Wieso sie einen Zwölfjährigen als Erzähler einsetzt? Für Candice Breitz eine Entscheidung, bei der der Zufall mitgewirkt hat. Der Junge ist der Sohn einer Aktivistin, die sich für die Rechte von Sex-Arbeitern einsetzt. Und er ist eine Provokation. Ein Hingucker, der Aufmerksamkeit erzeugt.

Ausstellungshinweis

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Die Gruppenausstellung des Kunstmuseums St. Gallen «The Humans» erforscht, wie Künstler ihre unabhängige Sicht auf die Welt formulieren und wie sie in Wirklichkeiten eintauchen, die traditionellen und neuen Medien verwehrt bleiben. Noch bis 17. März 2019.

Geschickt spielt Candice Breitz mit dramaturgischen Tricks, die Aufmerksamkeit erzeugen. Und konfrontiert das Publikum mit der Frage, warum man so gern wegguckt, wenn es schwierig wird.

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