Figuren und Gesichter mit fabelhaften Zügen, bunte Ornamente und schrille Farben: Diese Drucke zum chinesischen Neujahr sind in einer Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich zu sehen. Sie zeigen die vielen verschiedenen Gottheiten, die von den Chinesen verehrt wurden.
Göttlicher Spion in der Küche
Eine dieser Gottheiten sei fürs Neujahrsfest ganz zentral, sagt Kuratorin Alexandra von Przychowski: «Die wichtigste Gottheit ist der Herd-Gott.» Sein Bild wurde über dem Herd in der Küche angebracht, dem zentralen Platz im Haus.
«Der Herd-Gott war ein Spion der Götter» erklärt von Przychowski: «Er hat aufgezeichnet, was das ganze Jahr in der Familie passiert ist. Eine Woche vor Neujahr ist er in den Himmel gereist und hat Bericht erstattet.»
Honig um den Mund
Jede chinesische Familie – ob arm oder reich – besass ein Abbild dieses Gottes. Er entschied über das Schicksal der Familie. Darum waren fast alle Mittel recht, um diesen Gott in einer festlichen Zeremonie von sich zu überzeugen.
«Die Familie stellte das Bild des Gottes auf den Tisch und hat es mit einem Festessen bewirtet. Die Chinesen schmierten dem Bildnis buchstäblich Honig um den Mund und tauchten es in Wein – damit der Herd-Gott beschwipst nur Gutes berichtet», beschreibt Alexandra von Przychowski.
Göttinnen für die Frauen
Nicht nur für die Festivitäten zum neuen Jahr, sondern für alle Lebenslagen gab es Gottheiten, die den Menschen helfen und sie vor dem Bösen schützen sollten. Einige der Götter waren speziell den Frauen gewidmet.
So gibt es die Göttin für die Erfüllung des Kinderwunsches, für eine mühelose Geburt oder für ausreichend Muttermilch. Die Göttin der Muttermilch ist ein anschauliches Beispiel, wie praktisch und alltagsnah diese farbigen Drucke für die chinesische Bevölkerung waren.
Chinesische Frauen haben das Bild dieser Gottheit aufgehängt, wenn sie zu wenig Muttermilch hatten. Der Göttin wurde ein Opfer gebracht. «Wenn nach drei Tagen immer noch zu wenig Milch da war, hat man das Bild verbrannt. Die Asche wurde mit Honig und Mandelmilch gemischt und dem Kind verabreicht – gleichzeitig also eine Noternährung für das Baby», erklärt von Przychowski.
Eine kunstvolle Rarität
Die Drucke wurden oft in rituellen Zeremonien verbrannt oder an die Tür gehängt, um das Böse vom Haus fernzuhalten. Darum gibt es nur noch wenige Exemplare dieser kunstvollen Drucke. Das obwohl sie millionenfach hergestellt wurden – manche in Plakatgrösse, andere in Postkartenformat.
Erst Anfang des 20. Jahrhunderts weckte die chinesische Volkskunst das Interesse europäischer Kunstliebhaber. Händler nahmen die Drucke nach Europa mit und fingen an, diese zu sammeln. Darum stammen die in der Ausstellung gezeigten ältesten Exemplare aus diesem Zeitraum.
Schutzgötter in der Moderne
«Noch heute werden an Neujahr traditionell Wächterfiguren an den Häusern angebracht. Das sind aber keine handgefertigten Holzblockdrucke mehr. Heute werden die Hochglanzdrucke maschinell hergestellt. Und dem modernen Geschmack angepasst», sagt von Przychowski und schmunzelt. Bei einem Besuch in China habe sie schon Mickey und Minnie Mouse als Torwächter gesehen.
Obwohl die in der Ausstellung gezeigten Holzdrucke fast hundert Jahre alt sind, wirken sie modern: Mit ihren wilden Farben und den simpel dargestellten Figuren erinnern sie an Comics. Und kommen somit auch den westlichen Sehgewohnheiten entgegen.