Wenn in Frankreich der Comic ruft, kommen alle – sogar der Präsident. Emmanuel Macrons Besuch brachte die Logistik des Festivals an den Rand des Zusammenbruchs.
Dass er sich trotz der hitzigen Debatten rund um die Rentenreform Zeit für einen Besuch in Angoulême nahm, wurde als wichtiges Bekenntnis zum Comic gewertet.
Macrons Besuch hatte allerdings einen guten Grund: 2020 wurde in Frankreich zum «Jahr des Comics» ausgerufen. Mehr Mittel sollen in die nationale und internationale Sichtbarkeit und Vermittlung von Comics investiert werden.
Allerdings gehen diese Massnahmen an den echten Bedürfnissen der Comicschaffenden vorbei. Obschon der Comic seit 25 Jahren boomt, geht es vielen Zeichnerinnen und Zeichnern immer schlechter.
Über die Hälfte der rund 2000 professionellen Autorinnen und Autoren verdient weniger als den Mindestlohn, ein grosser Prozentsatz lebt unter der Armutsgrenze.
Mittlerweile erscheinen weit über 5000 Comics pro Jahr; die Produktion ist viel schneller gewachsen als die Leserschaft. Das hat zu einem drastischen Absinken der Durchschnittsauflagen und damit der Einkünfte geführt.
Streikende Comiczeichner
Die Comicschaffenden nutzten darum das «Jahr des Comics» und den Besuch von Präsident und Kulturminister als Plattform für eigene Forderungen zur Verbesserung ihrer Lage. Ihr Standpunkt: Der Boom ist den Autoren zu verdanken, also sollen auch sie davon profitieren.
Vergangenen Freitagnachmittag legten sie ihre Signierstifte eine Stunde lang nieder und zogen durch Angoulême.
Aber auch mit Streik war die diesjährige Ausgabe des Festivals ein Erfolg. Der Publikumszuspruch war ungebrochen, vor den Signiertischen, den Podiumsgesprächen mit nationalen und internationalen Grössen und den Ausstellungen bildeten sich lange Warteschlangen.
Die Nachwehen des Attentats
Poetisch und eindringlich, amüsant und existenziell zugleich war etwa die Ausstellung über Catherine Meurisse. Die 1980 geborene Zeichnerin stiess noch während ihres Studiums zur Satirezeitschrift Charlie Hebdo und war ab 2005 deren erste, weibliche Redaktorin.
Den Anschlag vom 7. Januar 2015 überlebte sie nur, weil sie an dem Tag verspätet war. Traumatisiert verabschiedete sich wenig später von der politischen Karikatur. In zwei autobiografischen Graphic Novels verarbeitete sie die Folgen des Anschlags.
In «Leichtigkeit» schilderte sie, wie sie sich dank ihrer Beziehung zur bildenden Kunst wieder aufrichtete; in «Weites Land» tauchte sie in ihre Kindheit auf dem Land und die Welt der Literatur ein.
Die Ausstellung «Chemin de traverse» zeichnete Meurisses Weg vor und nach dem Charlie-Hebdo-Massaker nach, ein Weg zwischen Karikatur und Comic, Spott und Kunst, Boshaftigkeit und Poesie, Feminismus und Selbstironie.
Diese und andere Ausstellungen bestätigen die positive Entwicklung des Festivals: Nachdem lange das Kommerzielle im Mittelpunkt stand, wurde wieder viel Wert auf klug kuratierte Schaus gelegt, die aufschlussreiche Schlaglichter auf Geschichte und Gegenwart der Comics warfen.
Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 3.2.2020, 17:10 Uhr