Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Kunst Der Reiz der Peripherie: Kunst auf dem Land

«Kunst und Dorf» – unter diesem Titel hat die Autorin und Kunstkritikerin Brita Polzer ein Buch herausgegeben, das sich Kunst abseits urbaner Zentren widmet. Im Fokus stehen nicht «klassisch» in einem Atelier auf dem Land gefertigte Malerei oder Plastik, sondern partizipative Projekte.

Zahlreich sind die Vorurteile, wenn Stadt und Land aufeinandertreffen: StädterInnen sind arrogant, DorfbewohnerInnen engstirnig – so lauten wohl die gängigsten. Bewegung in diese festgefahren Sicherheiten bringen spezielle Kunstprojekte, die für einzelne Dörfer entwickelt wurden. Das zeigt der kürzlich bei Scheidegger und Spiess herausgegebene Band von Brita Polzer. Vorgestellt werden darin Projekte aus Deutschland und der Schweiz, Österreich und Tschechien.

Künstlerinnen aus der Stadt treffen dabei auf Dorfbewohner. Die Spannbreite der Kunstaktivitäten reicht von der temporären Kunsthalle in einem Bahnwärterhäuschen über den umgebauten Stall als Veranstaltungsort und Atelier bis hin zum Dorfladen, der lokal hergestellte Seife vertreibt. Die in «Kunst und Dorf» vorgestellten Kunstprojekte sorgen für Begegnungen zwischen Bewohner von Dörfern einerseits und Künstler aus der Stadt andrerseits.

Kunst als Sozialarbeit?

Zum Beispiel Rolf Wicker, der in Lelkendorf in Mecklenburg-Vorpommern eine temporäre Kunsthalle im Miniaturformat einrichtete. Erste Kontakte während seines sechsmonatigen Aufenthalts in Lelkendorf, einer von Arbeitslosigkeit und «brain drain» geprägten ehemaligen DDR-Gemeinde, knüpfte Wicker über Essenspatenschaften.

Neben dem Betrieb mit Wechselausstellungen bot die temporäre Kunsthalle ausserdem die neutrale Plattform für Kommunikation innerhalb einer Gemeinde, die in sozialen Spannungen für lange Zeit verstummt war. Der Graben zwischen arm und reich, zwischen Wendeverlieren und Gewinnern prägte das Dorfleben. Die Vernissagen und Vorträge in der temporären Kunsthalle waren das neutrale Terrain, auf dem sich Schlossbewohner ebenso wie Hartz-IV-Empfänger aus Lelkendorf begegneten.

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Scheidegger & Spiess

Brita Polzer (Hrsg.): «Kunst und Dorf.» Scheidegger & Spiess, 2013.

Die diversen Projekte, die das Buch vorstellt, rücken insbesondere die gesellschaftliche Funktion von Kunst in den Fokus. Strukturen und Begegnungsorte, die in ländlichen Gemeinden fehlen oder weggebrochen sind, werden durch Kunst neu initiiert. Und natürlich, so Herausgeberin Brita Polzer im Gespräch, liegt der Schluss nahe, dass Kunst in dem Fall als Sozialarbeit funktionalisiert und gar «missbraucht» werde. Ganz so einfach aber sei es nicht.

Soziale Interaktion sei in dem Fall nämlich auch das künstlerische Mittel, das Künstlerinnen und Künstler anwenden, die sich auf partizipative Projekte spezialisiert haben – und sie tun dies je nach Zielgruppe unterschiedlich.

Stadt und Land

Die gesellschaftliche Isolierung oder die fehlende Kommunikation, gegen die die vorgestellten Kunstprojekte häufig vorgehen, ist auch in Städten ein Trend. Aber auf dem Dorf fehlen die Strukturen für den Austausch gänzlich, die Dorfbeiz ist längst zu und einen Laden gibt’s vielleicht auch nicht mehr. Und so wird Toni Parpans Projekt, im Bündner Dorf Zorten wieder Bänke vor die Häuser zu stellen und den nachbarlichen Schwatz wieder stattfinden zu lassen, zur partizipativen Einladung.

Mannigfaltig jedenfalls sind die Spiegelungen, die das Buch freilegt, wenn es um das Minenfeld Stadt und Land geht. Denn eines ist klar: Die an den vorgestellten Projekten beteiligten Künstlerinnen und Künstler leben und arbeiten grösstenteils in der Stadt. Denn dort besteht für Kunstschaffende die Infrastruktur. Das Dorf besuchen die Künstler für einige wenige Wochen im Jahr.

Historische Künstlerkolonien

Von Kolonialismus will Brita Polzer dennoch nicht sprechen. Jedenfalls nicht in Bezug auf die aktuellen Projekte. Ein Thema allerdings sei die Ausbeutung in den historischen Künstlerkolonien auf dem Lande. Einst entwickelten Malerinnen und Maler in den Künstlerkolonien von Worpswede oder Barbizon Malweisen abseits des städtischen Mainstreams, die die Kunstgeschichte nachhaltig prägten.

Die Sichtweise der Künstler auf das Landleben allerdings war ebenso beschönigend wie snobistisch. Idyllisches Landleben wurde zum beliebten Sujet, das bei den städtischen Käuferschichten gut ankam. Für die harte Realität des Landlebens interessierten sich nur wenige Künstler. Die Künstlerkolonien wurden ausserdem zu beliebten Ausflugszielen für erlebnis- und erholungshungrige Städter, die per Eisenbahn anreisten, das exotische Landleben beglotzten und wieder abreisten. Wie die Wechselwirkung zwischen Stadt und Land heute funktioniert, auch das untersucht der Band «Kunst und Dorf».

Meistgelesene Artikel