- Die Kunstgeschichte zeigt: psychologische Überwachung existiert schon lange . Im Mittelalter war Gott der Überwacher, in den Jahren der Aufklärung der Staat.
- Zeitgenössische Künstler nähern sich der Überwachung mit verschiedenen Aktionen – sie lassen sich selbst überwachen oder hängen überdimensionale Photos von Überwachern in Städten auf.
- Die Ausstellungen in zwei Berliner Fotomuseen zeigen: Bis heute wird die Überwachung immer vielfältiger und undurchschaubarer . Darin liegt ihre Macht.
Beobachter lauern im Gras, Spione horchen im Wald. Der Holzschnitt «Das Feld hat Augen, der Wald hat Ohren» zeigt: Bereits im Mittelalter hatten Menschen Angst, überwacht zu werden.
Der Wanderer hält sich eine Hand vor den Mund. Durch seinen Zeigefinger und seinen beunruhigten Blick spricht er eine Warnung aus: Sprich und handele nicht unrecht. Denn: Nichts bleibt ungesehen, unentdeckt.
Überwachung gibt es schon lange
Kunsthistoriker gehen davon aus, dass dieser Holzschnitt als Abbildung von Sprichwörtern wie «Reden ist Silber, Schweigen ist Gold» oder «Die Wände haben Ohren» entstanden ist.
«Das Feld hat Augen …» steht im Zentrum der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Fotografie in Berlin . «Es soll zeigen, dass die Überwachung nicht erst mit den Apparaten in der Moderne entstanden ist», erklärt Kurator Michalis Valaouris. «Die Kunstgeschichte zeigt, wie lange die psychologische Überwachung bereits existiert. Und inwieweit auch Angst und Paranoia schon damals eine Rolle gespielt haben.»
«Der Himmel wacht für dich»
Im Mittelalter symbolisiert das wachende Auge Gott, der alles sieht, dem keine Verfehlung entgeht.
Der Kupferstich «Der Himmel wacht für dich» von Jaques Callot ist Teil einer Bildreihe als Einführung für junge Novizen ins Klosterleben: Der gute Hirte Jesus Christus wacht über seine Herde. Er ist als Mahnung der christlichen Kirche zu verstehen, dieser treu zu sein.
Weitere Stiche im Museum für Fotografie zeigen: Die Warnung «Gott sieht alles» wurde von der Kirche verbreitet, um Menschen Angst zu machen und zum christlichen Handeln zu bewegen.
Vom Auge Gottes zum Auge des Staates
In den Jahren der Aufklärung steht das wachsame Auge dann nicht mehr für Gott, sondern für den Staat. So trägt die symbolische Gestalt der Staatsräson auf einem Holzschnitt von 1603 auf ihrem Gewand etliche Augen und Ohren.
Technische Neuerungen ermöglichen, dass die Überwachung im Laufe der Geschichte immer realer geworden ist: Ein Kupferstich von 1650 zeigt Abhöranlagen in den Wänden des Louvres, mit der Kamera Obscura konnten Überwacher um die Ecke blicken und Banken werden seit den 1960er-Jahren mit Kameras überwacht.
Selbst-Überwachung als Gegenbewegung
Wie zeitgenössische Künstler mit dem Thema Überwachung umgehen zeigt die Ausstellung «Watched!» im c/o-Berlin. Zum Beispiel Jill Magid. In einer Performance hat die Künstlerin sich 31 Tage lang in Liverpool überwachen lassen. Sie bat eine Überwachungsagentur in Liverpool, ihr zu folgen, sie die ganze Zeit zu filmen.
Entstanden ist ein Film und eine Novelle, in denen Künstlerin und Überwacher sich nahe kommen, eine Art intime Beziehung zueinander entwickeln.
Überwacher «überwachen»
Wer sind die Akteure der Überwachung? Dieser Frage ist der Künstler Paolo Cirio nachgegangen. Er hat aus den sozialen Medien Fotos von Mitarbeitern der NSA, CIA, oder des FBI heruntergeladen, die im Zusammenhang mit Edward Snowdens Enthüllungen stehen. Diese hat er dann ohne Genehmigung überdimensional gross ausgedruckt und in den Städten Berlin, Paris, London und New York aufgehängt.
Unfreiheit durch Kunstfreiheit zeigen
Der deutsche Künstler Florian Mehnert hat Mikrofone im Wald aufgehängt und heimlich Gespräche von Spaziergängern aufgezeichnet. Das ist verboten. Eigentlich. Der deutsche Bundesgerichtshof hat aber entschieden: Der Künstler will eben diese Grenze zum Verbotenen aufzeigen. Zeigen, was es bedeutet, wenn selbst der Wald verwanzt ist.
Das ist künstlerische Freiheit. Und ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig diese beim Thema Überwachung ist, sagt c/o-Berlin Kuratorin Anne Christine Bertrand: «Die Kunst hat in bestimmten Bereichen mehr Freiheit. Sie kann an Grenzen gehen, an die Journalismus oder Wissenschaft nicht gehen können. Und dadurch andere Erfahrungsbereiche bieten.»
Immer noch der «göttliche Blick»
Die Ausstellungen in den beiden Berliner Fotomuseen zeigen: Bis heute wird die Überwachung immer vielfältiger und undurchschaubarer. Darin liegt ihre Macht. Bis heute versucht sie dem göttlichen Blick – der bis in die Psyche des Menschen schaut – zu entsprechen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 9.03.2017, 8:20 Uhr.