Was können wir denn mit der Hilfe der documenta von Griechenland lernen?
Wir stecken alle in Schwierigkeiten. Es ist nicht so, dass manche Länder Probleme haben und andere nicht. Indem man Griechenland mit ins Spiel bringt, wird das deutlicher. Die Aufgabe der documenta ist es, Probleme aufzudecken.
Sie ist eine Ausstellung, die eine globale Reichweite hat, aber nicht auf eine ganzheitliche Repräsentation abzielt, wie die United Nations oder die Unesco mit der ganzen Bandbreite globaler Themen. Es geht eher darum, einen Zugang zu komplexen Geschichten zu finden und eine nicht bekannte Kunstwelt zu repräsentieren.
Welche Kunstschaffenden interessieren Sie besonders?
Wir bemühen uns, von extrem individuellen Positionen zu lernen, gleichzeitig sollen Künstler aber nicht zu genialen Zentralstücken der Show gemacht werden. Ihre Arbeit soll als Teil der Gemeinschaft oder Geschichte der Orte betrachtet werden, zu denen sie gehören oder eines anderen Ortes, zu dem sie gezogen sind.
Bei der Arbeit der palästinensischen Fotografin Ahlam Shibli etwa geht es um unsere problematische Beziehung zu unserem Zuhause. Shibli fokussiert sich auf das Leben verschiedener Migranten, die hier in Kassel angekommen sind.
Beginnend mit der ersten erzwungenen Migration 1945, dann der Zuzug von den Spaniern und Italienern, als die deutsche Wirtschaft mehr Arbeitskräfte brauchte. All diese verschiedenen Gemeinschaften sind in der Stadt anwesend. Die gibt ihnen eine Mitte, als Menschen dieser Stadt.
In Kassel geht es um ein neues Kennenlernen der Stadt.
In Athen ging es darum, Kunst in der ganzen Stadt zu erkunden. Was planen Sie in Kassel?
Die Ausstellungen in der griechischen Hauptstadt sind verstreut und lassen den Besucher zuweilen verloren in einer grossen Stadt zurück. Das ist in Kassel anders. Hier geht es mehr um ein neues Kennenlernen der Stadt. Den Eingang der Ausstellung haben wir im Untergrund eines Kulturbahnhofs installiert, dadurch entsteht ein «Entfremdungseffekt».
Diese 14. documenta beschäftigt sich besonders mit indigener Kunst. Warum?
Es geht darum, dass wir von unserer Wachturm-Position heruntersteigen, die eine Art Architektur der Überwachung darstellt. Wir müssen den kolonialen Blick hinter uns lassen und versuchen, von anderen zu lernen, die Welt zu verstehen. Ich habe ein Problem damit, dieses Europäische als Heimat zu verstehen.
Denn es ist auch der Ort, von dem die mörderischen Prozesse der Kolonialisierung und Radikalisierung der Menschen in allen Teilen der Erde ausgingen. Das ist das Erbe der Aufklärung und des Fortschritts. Solange wir das nicht verstehen, können wir unseren Platz in diesem blutigen Puzzle nicht wirklich behaupten.
Zwei Standorte, über 160 Kunstschaffende, eine riesige Herausforderung. Gibt es Momente der Panik?
Natürlich gibt es Momente der Panik. Panik ist interessant, weil sie mit einem unkontrollierbaren Ausbruch in Verbindung steht, der aber wiederum Energie freisetzt. In den späten 1960er Jahren hat es in Paris sogar eine Bewegung gegeben, die sich die «Panik Gesellschaft» genannt hat. Im Status der Panik vermochten sie alle Sinne zu mobilisieren.
Eine längere Version dieses Interviews erschien auf Kulturzeit / 3sat. Das Gespräch führte Marion Skalski.