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Dokfilm über Marcel Duchamp Der mit dem Pissoir

Das soll Kunst sein? Zu Konzeptkunst findet nicht jeder einen Zugang. Ein Dokfilm über Marcel Duchamp hilft, Antworten zu finden.

Wer stand nicht schon in einer Ausstellung und fragte sich krampfhaft, was diese sonderbaren Striche, Bilder, Objekte oder Töne mit Kunst zu tun haben? Das sei Konzeptkunst, bekam man vielleicht zugeraunt.

Der französisch-amerikanische Künstler Marcel Duchamp, ein Wegbereiter dieser Richtung, gibt aufschlussreiche Antworten auf die Frage, was denn Kunst überhaupt sei.

Ein Reflex gegen Normen

Duchamp zählt zu den eigenwilligsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Als radikaler Forschergeist mit unstillbarem Freiheitsstreben hatte er einen fast schon allergischen Reflex allem und allen gegenüber, die ihn in ein normierendes Korsett stecken wollten.

Schwarzweissbild: Duchampo mit Zigarre auf einem Sofa liegend
Legende: Wer entscheidet, was Kunst ist und was weg kann? Marcel Duchamp hat mit seinen Fragen die Grenzen der Kunst verändert. SRF/ John Schiff and Philadelphia Museum of Art

So weitete er die Grenzen der Kunst massiv aus. Für viele zu massiv. Bis zur Grenze der Überforderung oder zum Punkt, wo man sich kopfschüttelnd fragt: «Das soll Kunst sein? Das kann doch jeder!»

Das stimmt: Jeder Mensch kann Kunst erschaffen, denn jeder Mensch hat Ideen. Nur: Man muss es auch tun.

Die Frage, die Duchamp umtrieb, war noch radikaler: Kann jemand überhaupt ein Werk schaffen, das nicht «Kunst» ist? Wer entscheidet überhaupt, was Kunst ist? Und was sind die Kriterien?

Keine absolute Schönheit

Im Film «Marcel Duchamp – die Kunst des Möglichen» gibt Duchamp Schlüssel zum Verständnis zeitgenössischer Kunst. Viele finden Gegenwartskunst sperrig und verkopft. Dabei ist sie offener und verspielter als man meinen könnte. Denn sie geht davon aus, dass es keine absoluten Kriterien gibt, die bestimmen, was Kunst ist und was nicht.

Schon die Wissenschaftsphilosophen erkannten Anfang des letzten Jahrhunderts: Was auf Konvention beruht, ist relativ. Folglich gibt es keine absolute Wahrheit. Folglich keine absolute Schönheit, keinen absoluten Geschmack.

Für Marcel Duchamp war Kunst eine offene, experimentelle Aktivität, die ständig ihre Instrumente, Formen und Inhalte verändert und nie abgeschlossen ist.

Ein Pissoir kann Kunst sein, oder auch nicht

Duchamp und andere Kunstschaffende wollten die Erkenntnisse der Wissenschaft auf die Kunst anwenden. Sie begannen, alle möglichen Materialien in ihr Schaffen einzubeziehen.

Pissoir als Ausstellunsobjekt
Legende: «Fountain» um 1917 von Marcel Duchamp in der Ausstellung «DADA UNIVERSAL» 2016 im Landesmuseum in Zürich. KEYSTONE/Ennio Leanza

Für das Werk «3 Massnorm Stoppagen» (1914) verwendete Duchamp zum Beispiel eine Holzkiste, Glasplatten, drei Holzlatten und drei Fäden, die er auf bemalte Leinwandstreifen klebte. Mit der Zeit wurde er noch radikaler und erklärte beliebige Gegenstände zu Kunstobjekten.

1917 reichte er etwa in New York für eine Ausstellung ein Pissoir ein. Titel: «Fountain», signiert mit «R. Mutt».

Mit solchen «Readymades», wie Duchamp diese Objekte nannte, warf er die Frage auf, wer welchen Dingen welche Bedeutung und welchen Wert zuspricht. Wer nimmt sich die Hoheit, dies zu bestimmen? Mit welchem Recht? Und welchen Folgen, nicht zuletzt für den Kunstmarkt?

Im Auge des Betrachters

Inhaltlich geht es bei Readymades nicht darum, wer es erschaffen hat. Sondern darum, wer es ausgewählt und in eine neue Umgebung gesetzt hat. Und vor allem um die Frage, was das Objekt in dieser neuen Umgebung auslöst, welche Wirkung es auf die Betrachter hat. Erst in dieser Begegnung findet das Werk seine Vollendung.

Die Künstlerin hat das Werk nur erschaffen, nicht vollendet. Die Vollendung findet in der Begegnung statt.

Ob etwas Kunst ist oder nicht, entscheidet also immer jeder und jede für sich. Allerdings: Zu einfach sollte man es sich mit der Antwort nicht machen. Man könnte sonst etwas verpassen. Oder auch nicht.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Kunst, 28.06.2020, 11:55 Uhr.

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