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«Double Take» in Winterthur Die Welt ist klein

Legendäre Bilder im Miniformat nachgebaut: Zwei Künstler zeigen ihr raffiniertes Werk in der Fotostiftung Schweiz. Die abfotografierten Basteleien sind tiefgründig und spitzbübisch zugleich.

Die verheerende Tsunamiwelle von 2004 im Indischen Ozean? Watte. Die Wasseroberfläche von Loch Ness, aus der das Monster «Nessie» auftaucht? Klarsichtfolie. Und die Mondoberfläche, auf die sich der Fussabdruck Edwin Aldrins 1969 eingräbt: Zementpulver.

Watte, Karton, Kleber: Mit diesen Materialien bauen die Zürcher Fotografen Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger Aufnahmen, die sich ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben, als dreidimensionale Modelle nach. Dann fotografieren sie diese mitsamt den benutzten Utensilien ab.

Cortis /Sonderegger

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Jojakim Cortis (*1978) und Adrian Sonderegger (*1980) leben seit 2001 in Zürich. Gemeinsam studierten sie Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK).

Seit 2006 arbeiten sie als freie Fotografen/Künstler und unterrichten an verschiedenen Kunstschulen. Ihre Bilder wurden an zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt.

Akribische Bildanalyse

Als «forensische Detektive» bezeichnen sich die beiden Künstler. Erst wird die Kamera positioniert, anschliessend bauen Cortis und Sonderegger die Szenerien vor der Linse nach.

Bis zu tausend digitale Bilder schiessen die beiden zum Abgleich von Modell und Vorlage, bevor sie mit dem Resultat zufrieden sind. Akribische Bildanalyse und Bastelei über mehrere Wochen oder gar Monate hinweg – und am Ende werden die Modelle zerstört.

Humorvoll und tiefgründig zugleich

Über 40 dieser raffinierten Spielereien sind in der Ausstellung «Double Take» in der Winterthurer Fotostiftung zu sehen. Sascha Renner, Kurator der Ausstellung, erklärt seine Faszination für Cortis und Sondereggers Schaffen: «Die Arbeit ist raffiniert, humorvoll und tiefgründig zugleich. Sie lädt ein zu einem vergnüglichen Streifzug durch die Fotogeschichte, lässt uns aber auch immer wieder daran zweifeln, was unsere Augen sehen. Damit wecken diese Werke unsere Schaulust: Wir wollen das Geheimnis des Making-Ofs entschlüsseln, hinter die Illusion blicken.»

Kunstinstallation: Ein Flugzeug landet am Boden.
Legende: Making of «Concorde» (von Toshihiko Sato, 2000), 2013. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

Auf diesem Streifzug begegnet man Ikonen der Kriegspropaganda wie dem fallenden Soldaten von Robert Capa, Andreas Gurskys «Rhein II», das 2011 bei einer Auktion für über drei Millionen Euro verkauft wurde, Henri Cartier-Bressons über eine Pfütze hüpfenden Mann oder die Concorde 4590, die beim Start in Flammen aufging – also Fotografien, die historische Ereignisse dokumentieren, und solchen, die dank ihrer künstlerischen Qualität zu Ikonen wurden.

Geschichte anders erzählt

Die Serie kann man als spitzbübische Interpretation der etablierten Geschichte der Fotografie und ihrer Manipulationen lesen. Zugleich bieten die Rekonstruktionen Raum zum Hinterfragen der Konventionen, die die Fotografie beherrschen.

Kunstinstallation: Ein Tropfen weisser Flüssigkeit im Moment festgehalten, wo er an der Oberfläche aufprallt.
Legende: Making of «Milk Drop Coronet» (von Harold Edgerton, 1957), 2016. © Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger

Und sie vermitteln Geschichte auf eine besondere Weise, wie an der Eröffnung zu erleben war: Da standen Eltern mit ihren Kindern vor den Bildern und erklärten, wann in Vietnam Krieg war oder was es mit dieser Flagge, die US-Soldaten hissen, auf sich hat.

Die Ausstellung

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«Jojakim Cortis & Adrian Sonderegger – Double Take» ist noch bis am 9. September 2018 in der Fotostiftung Winterthur zu sehen.

Manipulierbarkeit und Wahrheitsgehalt

Für Sascha Renner passt die Arbeit in die aktuelle Zeit. Er verweist auf das Schlagwort des «Postfaktischen»: «Fotografien waren schon immer vielschichtige Bedeutungsträger, offen für Interpretation und Manipulation. Heute werden wir jedoch vermehrt mit Informationen konfrontiert, die schwer überprüfbar sind. Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von Fotografie stellt sich daher mit neuer Dringlichkeit. Das Werk von Jojakim Cortis und Adrian Sonderegger lässt uns dies auf eindrückliche Weise erfahren.»

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